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Er kann’s auch nicht ändern

Von hier zum Klassiker: Mit seinem allerneuesten Album „No More Shall We Part“ hat Nick Cave sich endgültig aus dem Rennen genommen und kann jetzt Leonard Cohen endlich den Whiskey reichen

von ARNO FRANK

Nein, die neue Platte birgt nichts Neues, Bahnbrechendes schon gar nicht. Sondern das alte Lied: Wer Sturm und Drang überlebt hat, der mündet zwangsläufig im Klassischen. Was das aber eigentlich bedeutet, lässt sich bestenfalls über das Gegenteil definieren: „Bonbonfarbene Babykotze“ ist der Begriff, auf den Nick Cave einmal das zeitgenössische Liebeslied gebracht hat.

Ein Punkrocker hätte sich kaum verächtlicher ausdrücken können. Cave aber schrieb und schreibt Liebeslieder, und sein zorniges Urteil fällte er vor vier Jahren, als er an der Wiener Schule für Dichtung ein Seminar zum Thema leitete: „The Love Song – and how to write it“. Seinen Vortrag hielt er wie ein Rockstar, mürrisch, ohne die gespiegelte Pilotenbrille abzunehmen. Verkündete zwischen zwei Zügen an der Selbstgedrehten, dass Liebe zu groß sei, als dass ihr vergnügtes Geträller gerecht werden könnte. Fuhr sich durch die Pomade seiner schwarzen Haare und forderte Stille, Tiefe, Schmerz, ohne die jede Annäherung an das Thema ins Leere greifen müsse. Kein Beitrag zu verblasenen Diskursen – sondern eine Predigt, wie sie vielleicht nur Söhne von Predigern halten dürfen, die durch die Hölle gegangen sind. Sprichwörtlich und buchstäblich.

Das neue, großartige Album „No More Shall We Part“ ist nach „Boatman’s Call“ schon die zweite Platte aus dem Auge des Sturms. Hinter ihm liegt auf musikalischer Seite die wütende Dekonstruktion von Kitsch in schmerzhaft lärmende Trümmer, wie sie The Boys Next Door, The Birthday Party und auch The Bad Seeds praktiziert haben. Auch spielt es längst keine Rolle mehr, an welchem topographischen Ort er seine Musik schreibt. In seiner Karriere lebte und komponierte er schon in London, Westberlin, São Paulo und wieder in London – ein Hohe Lied aber mag er auf keine dieser Städte singen. Höchstens auf London, das „so langweilig ist, dass ich da ungestört arbeiten kann“. Eine „Szene“ hat sich, wie in Berlin, höchstens um Cave herum gebildet, selten hat er sie aufgesucht. Mucker interessieren ihn nicht, desgleichen elektronische Musik: „Ich tanze nicht“, sagt er mit einem leisen Lächeln, „dafür bin ich zu alt, zu schüchtern, keine Ahnung.“

Inzwischen ist Nick Cave 43 Jahre alt, hat einen neunjährigen Sohn, der Green Day hört, und, seit Mitte letzten Jahres, Zwillinge mit seiner zweiten Frau. Hier, jenseits der Vergangenheit, „From Here To Eternity“, gibt es keine Entwürfe mehr. Nur Würfe. Balladen wie das ungeschützt schmachtende „Sweetheart Come“ etwa. Oder „God Is In The House“, eine satirische Attacke auf spirituell flurbereinigte Kleinstädte des US-amerikanischen Bibelgürtels, wo „nur weiße Kätzchen gezüchtet werden, damit wir sie nachts sehen können“.

Wenn er vom Paradiesgarten singt, den er mit seiner Liebsten betreten wird, dann tut er dies mit einer Stimme, als wollte er sie darin erschlagen. Und wenn er weint, dann dergestalt, dass es „zwanzig große Eimer braucht, die Tränen aufzufangen, zwanzig hübsche Mädchen, sie hinabzutragen – und zwanzig große Löcher, um sie darin zu vergraben“.

Derweil agieren seine Mitmusiker, die Bad Seeds, gewohnt gedämpft und ökonomisch. Kein Gitarrensolo stört den Mann an seinem Klavier, seine Fantasien in Moll. Nur wo es die Dramaturgie gebietet, da können sie schon mal losbrechen, die sägenden Gitarren und hysterischen Violinen. Essenziell ist das instrumentelle Beiwerk aber nicht mehr, seit der Song im Mittelpunkt steht – and how to write it. Dass er damit inzwischen seinen Vorbildern – Johnny Cash, Van Morrison und vor allem Leonard Cohen – auch qualitativ den Whiskey reichen kann, besorgt ihn mehr, als dass es ihm schmeichelt. Was womöglich daran liegt, dass er seine Kunst ernst nimmt. Todernst.

„Musik für Erwachsene“ macht er nach eigener Einschätzung, „Mädchenmusik“ nach Meinung des Rolling Stone. Freunde unterstellen ihm wohlwollend Reife, Cave selbst beobachtet an sich die Zeichen des Alterns: „Ich kann’s auch nicht ändern“, sagt er dann und dreht sich stirnrunzelnd eine weitere Zigarette. Seine Hände sind schlank und weiß, mit goldenem Ehering, mit einem gelben Nikotinfleck zwischen Zeige- und Mittelfinger. Er kann’s auch nicht ändern.

Hier sind sie eben, seine Geschichten, das Gewicht seiner Worte und der schwere Duft seiner schwarzen Harmonien. Über Stillstand, Ästhetik, Authentizität und Relevanz dürfen sich die Exegeten streiten. Come over here, baby, it ain’t that bad: Mit „No More Shall We Part“ hat Cave sich endgültig aus dem Rennen genommen. Und ist in den Reihen jener wenigen Künstler angekommen, die schrieben, schreiben und schreiben werden. Am eigentlichen, langen, alten Lied.

Nick Cave: „No More Shall We Part“ (Mute Records)

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