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An einer Stelle, die keiner kennt

■ Die Bremer Castor-Gegner sind hoch motiviert, wenn sie an ihren nächsten „Einsatz“ denken. In dieser Woche wollen sie die Blockade Revue passieren lassen / Die taz sprach mit einem von ihnen

Irgendwann haben sie es dann doch noch geschafft, sich auf die Gleise zu setzen. Wo genau, verrät Bernhard Stoevesandt nicht. „Der Ort ist so super“, sagt der 30-Jährige aus Bremen, „den wollen wir unbedingt fürs nächste Mal frei halten.“ Wenn die Castoren wieder rollen, im Wendland.

Der Transport, dem sich auch geschätzte 500 Menschen aus der Bremer Region entgegengestellt haben sollen, ist seit eineinhalb Wochen schon wieder Geschichte. In dieser Woche wollen sich die Bremer Castor-Gegnerinnen und -gegner zusammensetzen, um eine Bilanz zu ziehen. Wir schauen vorab durch die Brille von Bernhard Stoevesandt zurück auf die Ereignisse – der prominente Atomkraftgegner, Palästinensertuchträger und inzwischen auch diplomierter Physiker, war eine Woche selbst vor Ort. 1998 erlangte er lokale Berühmtheit, nachdem er sich auf der Castor-Strecke nach Ahaus festgekettet hatte – und nach zähen Gerichtsverhandlungen über 6.000 Mark Schadensersatz zahlen musste.

Jetzt sitzt er in der Redaktion, sein Hals tut ihm noch weh von der Kälte der vergangenen Woche, aber ansonsten hätten auch die anderen Castor-Gegner keine großen Blessuren abbekommen. Manche hätten „ein paar Beulen und Kratzer“; einige seien vor Ort in Gewahrsam genommen worden. Von irgendwelchen Anzeigen ist ihm noch nichts zu Ohren gekommen. Was wenig bedeutet: Der zuständigen Staatsanwaltschaft Lüneburg zufolge stapeln sich noch ganze Kartons mit entsprechendem Inhalt, der in den nächsten Wochen gesichtet werden soll, bei der Polizei.

Trotzdem: Für Stoevesandt war die ganze Aktion „motivierend“ und „politisch ein voller Erfolg“. Warum? „Weil es trotz rigider polizeilicher Maßnahmen möglich war, so vieles zu machen.“ Waldwege mit Baumstämmen „zumachen“ beispielsweise, um die Aufmerksamkeit der Polizei von Blockierern abzuziehen. Und: Es seien viel mehr Bremer gekommen, als erwartet, viele junge darunter, viele neue Gesichter. Wieviele genau, sei schwer zu sagen: Nachdem die Polizei gleich zu Beginn ein relativ nah an der Transportstrecke gelegenes Camp verboten hatte, schlug lediglich ein Teil der Bremer seine Zelte unweit des Dörfchens Köhlingen auf; andere kamen in Scheunen oder andernorts unter.

Das, was Stoevesandt und seine „Bezugsgruppe“ erlebte, wenn nicht gerade Hirse mit Gemüsesauce gelöffelt wurde, beschreibt der Castor-Gegner als eine für ihn neuartige polizeiliche Strategie: Protes-te außerhalb der 50-Meter-Sperrzone auf beiden Seiten der Gleise seien toleriert worden; bei Blockaden jedoch hätte die Polizei mit massiver Gewalt „reingehauen“. So etwas wie „freundliche Räumungen“ habe es nicht gegeben, meint Stoevesandt. Das zwiespältige Verhalten der Castor-Schutztruppen („Proteste ja, Gewalt nein“) ist für ihn nichts anderes als eine PR-Nummer gewesen: Schließlich seien statt der angekündigten 130 „Konfliktmanager“ nur ganze zwölf gekommen, und diese hätten sich wie Polizeisprecher verhalten.

Insgesamt, meint der Bremer, seien die Proteste ziemlich diszipliniert abgelaufen. Die Folge aus seiner Sicht: Die Ordnungskräfte hätten begonnen, neue Gruppen zu kriminalisieren. Das sei auch der Grund für die Kampagne von Seiten des Staates, Organisationen wie Robin Wood die Gemeinnützigkeit aberkennen zu wollen. „Je weniger passiert“, meint Stoevesandt, „des-to mehr wird der Gewaltbegriff ausgedehnt.

Der Castor-Gegner, der seit 1992 mal mehr, mal weniger erfolgreich versucht, sich querzustellen, ist trotzdem guten Mutes: „Das nächs-te mal in Gorleben, das wird noch größer“, hofft er. Bis dahin wird sich Stoevesandt weiter vor Castoren „gruseln“, weil deren Inhalt Mensch und Natur verseuche, er wird Röntgen-Linsen entwerfen, weil er Physiker ist, und er wird sich bemühen, Spenden aufzutreiben, weil es Geld kostet, eine Woche lang im Wendland zu sein, um irgendwo, an einer Stelle, die keiner kennt, dem Castor aufzulauern.

hase

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