: Zu viel in Klausur
■ GEW hat errechnet, Hamburg verlange die bundesweit meisten Klassenarbeiten. Unproduktiver Stress für Schüler und Lehrer
„Meine Schüler haben immer die nächste Arbeit im Kopf und gar keine Ruhe für Projekte.“ Zwei Klausuren in der Woche sind zu viel, befand Deutschlehrerin Sabine Waller, und wollte es genau wissen. Gemeinsam mit GEW-Kollege Egon Tegge vom Personalrat Gymnasien verglich sie die Zahl der in Hamburg vorgeschriebenen Klausuren mit der in anderen Bundesländern. Ihr Resultat: Mit bis zu 155 Klausuren und Diktaten, die Gymnasiasten von Klasse fünf bis zehn schreiben, liegt Hamburg bundesweit an der Spitze. Thüringen verlangt dagegen nur 84 Klausuren, Bayern 94.
GEW-Sprecherin Ilona Wilhelm, die diese Zahlen gestern vorlegte, findet daran zweierlei bemerkenswert. Zum einem fehlt den Lehrern die Zeit, die sie für Korrekturen aufwenden, für Wichtigeres: „Wer bis 2 Uhr nachts am Korrekturtisch sitzt, kann keine knackige Unterrichtsvorbereitung machen.“ Brächte ein Hamburger Deutsch- und Englischlehrer jährlich 560 Stunden mit dem Rotstift zu, benötigte beispielsweise sein Kollege aus Rheinland-Pfalz 250 Stunden weniger. Hamburg habe seit Mitte der 90er Jahre 20 Prozent Personal eingespart aber im Gegenzug „keine Aufgabenkritik“ geübt – sprich den Korrekturaufwand gesenkt.
Zum anderen, so Wilhelm, gebe es keine Untersuchung, die belegt, „dass Schüler durch mehr Klausuren besser lernen“. Das Lernen im Klausurenstress erfolge „prüfungsorientiert und nicht prozessorientiert“. Wenn Schüler für eine Chemie-Arbeit üben, sei von den eingepaukten Fakten „nach drei Wochen nichts mehr übrig“.
Die GEW habe sich verzählt, in der Mittelstufe würden nur 135 Klausuren geschrieben, entgegnet der Chef der Schulaufsicht, Reiner Schmitz. Er zählt die Diktate nicht mit. Hamburg liege bundesweit nicht an der Spitze, sondern im Feld der Länder, die in jedem Kernfach (Deutsch, Englisch, Mathe, 2. Fremdsprache) pro Halbjahr drei statt zwei Klausuren schreiben. Im Sinne der Schüler: „Je weniger Arbeiten geschrieben werden, desto größer sind der Stress und die Angst“. Außerdem böte der dritte Termin eine Chance, schlechte Noten wieder auszugleichen.
„Mit der Logik kann man auch vier oder fünf Klausuren verlangen“, hält Ilona Wilhelm dagegen. Klausuren könnten auch durch andere schriftliche Leistungen wie Referate, Hausaufgaben oder Präsentationen ersetzt werden. Mit der Einführung von „Bildungsplänen“ steuere Hamburg derzeit in eine moderne Richtung. Doch diese „Methoden und Inhalte von heute“ würden mit „Leistungskontrollen von gestern“ überprüft“.
Kaija Kutter
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