eine woche im april: Vielleicht sollte man am Morgen noch viel länger schlafen
Antipasti und Ampelmännchen
Ich liege im Bett, schiebe die Gardine beiseite und schaue in den grauen Himmel, ein Tag wie jeder andere. Gut möglich, dass ich für meine Verhältnisse zu lange geschlafen habe.
Der Zustand meines auf dem Boden liegenden Weckers lässt auf Gewalteinwirkung schließen, die Plastiksplitter sind um das Nachtschränkchen verstreut, die Verkleidung für das Batteriefach ist herausgebrochen, die Batterie nicht zu sehen, wahrscheinlich unters Bett gerollt, kein Grund zur Beunruhigung.
Nach einer Weile stehe ich endlich auf, etwas zu schnell vielleicht, kleine weiße Punkte tanzen vor meinen Augen, ich fühle mich benommen, stütze mich am Kleiderständer ab und wanke in die Küche, der Kühlschrank ist leer, das Brot hart und trocken, und ich beschließe, in dem kleinen italienischen Restaurant nebenan zu frühstücken.
Von zehn bis zwei Uhr ist Happy Hour, in dieser Zeit kosten alle Gerichte acht Mark und es gibt ein großes Buffet mit Antipasti und frischen Salaten. Einmal, vor ein paar Wochen, habe ich mit der Bedienung des Lokals geflirtet, sie heißt Lidka, wir haben uns über die Toskana unterhalten, obwohl sie aus Polen stammt.
Die gemeinsamen Urlaubserinnerungen waren dann auch bald erschöpft, aber sie lächelt jetzt, wenn ich den Raum betrete. Als ich mich ans Fenster setze und Lidka die Bestellung aufnimmt, merke ich, dass es für die Happy Hour schon zu spät ist. Ich zögere, gehe die Karte durch und entscheide mich für eine Suppe.
„So sparsam heute“, sagt sie lächelnd und schaut mich an, als hätte ich etwas Falsches gesagt. Ich suche schon nach einer Ausrede, da dreht Lidka sich um und geht zu einer Frau, die am Nebentisch sitzt und damit beschäftigt ist, in der Nase zu bohren. Auch als Lidka mit Block und Bleistift vor ihr steht, stochert die Frau mit dem Zeigefinger in ihrem linken Nasenflügel, dann wischt sie den Finger an ihrer Hose ab und bestellt eine Pizza, einen Rotwein, eine Schachtel Zigaretten. Als wir beide nach etwa zwanzig Minuten fast gleichzeitig unser Essen erhalten, vergeht mir der Appetit.
In schnellen, hastigen Schüben schiebt die Frau die Pizza in den weit aufgerissenen Mund, manche Stücke lässt sie zurück auf den Teller fallen. Ich versuche, nicht zu ihr herüberzusehen, und esse so schnell wie möglich meine Suppe, auch auf die Gefahr hin, mir dabei die Zunge zu verbrennen. Lidka, die uns vom Tresen aus beobachtet hat, entschuldigt sich später bei mir, als sei sie für das Verhalten ihrer Gäste verantwortlich.
Nachdem ich das Restaurant verlassen habe, kommt mir an einer Kreuzung ein Mann mit einem T-Shirt entgegen, auf dem ein grünes Ampelmännchen abgebildet ist, und in dem Moment, als wir beide die Straße überqueren, springt die Fußgängerampel von Rot auf Grün. Darüber bin ich so verwundert, dass ich mitten auf der Fahrbahn stehen bleibe, bis mir die Autofahrer mit ihrem Hupen signalisieren, ich solle den Weg frei machen. JAN BRANDT
(wird fortgesetzt)
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