: Freie Energie-Maschinen
„Es funktioniert nur, wenn man es für möglich hält“: In Schöneberg nimmt man auch das morphogenetische Feld noch ernst und verbiegt Löffel per Gedankenübertragung
Eine Tai-Chi-Schule in Schöneberg, Hinterhaus, fünfter Stock. Hier soll es passieren. „Rainer Höhndorf praktiziert das Löffelverbiegen seit Jahren“, steht auf dem Handzettel, und Rainer Höhndorf, auch das erfährt man, ist „Heilpraktiker, Diplomingenieur und Entwickler von Freien Energie-Maschinen“.
Durch eine Glastür sieht man einen älteren Mann, der seine Hände seitlich an den Kopf einer Seminarteilnehmerin legt. Der ältere Mann ist Rainer Höhndorf, aber was macht er da? „Energieübertragung“, sagt ein Seminarteilnehmer. Später dringen aus dem Raum Schreie von Kindern, Bohrgeräusche setzen ein. Immer mehr Teilnehmer verlassen den Raum. Eine Frau sagt: „Jetzt zeigt er wieder Blutfilme.“ Es sind Filme von brasilianischen oder philippinischen Heilern, die kranke Organe mit bloßen Händen entnehmen.
Zur Pause geht die Tür auf. Rainer Höhndorf ist groß gewachsen und trägt eine Art selbst gestrickten Pullover. Zwischen Daumen und Zeigefinger hält er einen Löffel. Ein Löffel sei keineswegs tote Materie, sagt Höhndorf, tote Materie gebe es überhaupt nicht. Vielmehr besitze jedes Atom ein Bewusstsein und sei somit empfänglich für Gedankenübertragung. Er denke jetzt daran, dass der Löffel an der Stelle, wo er ihn mit Daumen und Zeigefinger berühre, weiß glühend werde. Eine schnelle Bewegung, der Löffel ist um 180 Grad verdreht. Ein Raunen geht durch den Raum.
„Seit Uri Geller damit angefangen hat, ist das morphogenetische Feld für das Löffelbiegen bereitet“, sagt Höhndorf, dem es eigentlich überhaupt nicht ums Löffelverbiegen geht, sondern um viel wichtigere, grundsätzliche Dinge. Wenn man mit seinen Gedanken schon Löffel beeinflussen kann, wie viel mehr können sie noch bewirken?, fragt er und fordert Gedankenhygiene. Wenn alle bösen Gedanken verschwinden, verschwindet das Böse aus der Welt, denn die Gedanken erschaffen die Realität.
Natürlich sind viele Teilnehmer trotzdem zum Löffelverbiegen hier. Fast alle haben eigene Esslöffel mitgebracht, aber ganz überzeugend hat es am Morgen noch nicht geklappt. Was auch kein Wunder ist, so der Meister: „Es funktioniert nur, wenn man es für möglich hält“, sagt Höhndorf und legt ruhige Musik von Gluck auf. Die meisten Teilnehmer halten jetzt ebenfalls ihre Löffel zwischen Daumen und Zeigefinger, Höhndorf spricht von Energie, die sich über dem Kopf konzentriert. Der Löffel soll jetzt kribbeln. Dann zählt er auf null runter und ruft: „Verbiegen!“
„Yes!“, brüllt ein Mann aus der letzten Reihe, er hat es geschafft, und mit ihm viele andere, vielleicht die Hälfte der Teilnehmer. Stolz halten sie ihre verdrehten Löffel hoch, der Geist triumphiert über die Materie. Ein kurzer Test zeigt: Die Löffel lassen sich nicht mehr biegen, schon gar nicht zurück. Höhndorf strahlt unter zerfurchter Stirn: „Der Löffel denkt, ich wäre ja verrückt, mich wieder zurückzudrehen.“ Klar, dass der Löffel so denken muss. Vor allem, wenn man weiß, was Höhndorf in Gedanken zu ihm spricht: „Wenn du weich wirst, bist du was Besonderes. Ich möchte aus dir ein Kunstwerk machen.“ Löffel zu Kunstwerken. Befreit das Bewusstsein der Atome! DANIEL WIESE
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