: Die Wirtschaft brummt. Leiser.
Wenn das Wirtschaftswachstum wirklich einbricht, haben Kanzler Schröder und Finanzminister Eichel ein Problem: Sie können nicht viel dagegen tun
von KATHARINA KOUFEN
Alles hat auch der Kanzler nicht im Griff. Er kann Ministerpräsidenten manipulieren, Konzerne retten, Sonntagsreden halten, Machtworte sprechen. Aber wenn die sechs großen deutschen Wirtschaftsforschungsintistute heute ihr Frühjahrsgutachten vorstellen, steht Gerhard Schröder ziemlich dumm da. Und sein Finanzminister auch.
Denn nach dem Internationalen Währungsfonds und den meisten Banken korrigieren nun auch die Forscher ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr nach unten: Statt um 2,7 Prozent wird die Wirtschaft in Deutschland nur um 2,2 Prozent wachsen. Nun sind der Bundeskanzler und Finanzminister Hans Eichel endgültig die Letzten, die noch von optimistischen „zweidreiviertel Prozent“ reden. Dabei hat der Realist Eichel noch versucht, seinen Chef auf den Boden der Tatsachen zu holen. „Ich gehöre zu den Menschen, die sich lieber angenehm überraschen lassen“, hatte er Schröders Eifer schon vor Wochen gedämpft.
Doch der Kanzler weiß, dass in der Wirtschaft ein kräftiger Schuss Optimismus manchmal mehr bewirkt als die beste Politik. Da stellt er sich gerne hin und verbreitet gute Stimmung. Denn die Regierung steckt in einem Dilemma: Wächst die Wirtschaft um 1 Prozent weniger als letztes Jahr, bedeutet das grob gerechnet 1 Prozent Arbeitslosigkeit mehr: Wenn das Sozialprodukt um 1 Prozent weniger zunimmt, braucht es dafür weniger Malocher. Also werden Leute entlassen. So ist zumindest das Grundgerüst der Eichel’schen Befüchtungen.
Leider kann er kaum etwas dagegen tun: Schafft er Arbeitsplätze direkt aus dem Staatssäckel, scheitern seine ehrgeizigen Sparpläne. Außerdem zeigt das Beispiel Ostdeutschland, dass ABM-Stellen in den meisten Fällen ABM-Stellen bleiben – und es zum Sprung in den ersten Arbeitsmarkt gar nicht erst kommt. Das musste Eichel erst kürzlich wieder in zwei Studien lesen, die er selbst beim IFO Institut in München und beim Institut für Wirtschaftsforschung in Halle in Auftrag gegeben hatte.
Hofft er auf „die Unternehmen“, die fleissig investieren und Arbeitsplätze schaffen sollen, wird er erfahrungsgemäß auch enttäuscht. Immerhin hat er gerade mit seiner Steuerreform 45 Milliarden Mark unters Volk verteilt, bis 2005 sollen noch einmal 50 Milliarden dazukommen. „Mehr ist nicht drin“, sagt Hans Eichel. Es dauere eben auch eine ganze Weile, bis solche Maßnahmen wirken.
Nun könnten die Unternehmen eigentlich in eine rosige Zukunft blicken: Mehr Geld für Investitionen und mehr Geld in den Taschen der Konsumenten – das müsste die Konjunktur doch stimulieren. Nichts dergleichen. Der „Geschäftsklimaindex“, der die Stimmung bei den Unternehmern misst, zeigt seit ein paar Wochen nach unten. Jens Dallmeyer, Konjunkturexperte bei der Deutschen Bank, schiebt das auf „eine Stimmungseintrübung“ bei den Unternehmern. „Die geht zulasten der Investitionsdynamik“, sagte er der taz. Da helfen Eichels Steuersenkungen nicht viel.
Stimmungseintrübung? Die Wirtschaftsforscher zeigen auf die USA. Dort macht sich der Abschwung bereits bemerkbar. Die Börsenkurse sind eingebrochen, viele Kleinaktionäre sitzen auf Schuldenbergen. Die gesamte US-Wirtschaft hat sich seit Jahren den Luxus geleistet, viel mehr im Ausland zu kaufen als selbst dort zu verkaufen. Kein Problem, denn Dollars flossen zur Genüge ins Land. Bis jetzt. Doch mit der Flaute verliert der Dollar an Attraktivität. Nimmt die Kaufkraft in den USA ab, werden auch die Exporte aus Europa zurückgefahren. In Japan, wo die Regierung verzweifelt versucht, die Konjunktur zu beleben, spricht man bereits offen von „Rezession“. Zwar machen die deutschen Exporte nach Japan nur 2 Prozent aus. „Es kann aber Übertragungseffekte auf Drittmärkte geben“, warnt Dallmeyer. Das heißt: Japans Krise überträgt sich auf Südostasien, China, Russland, Osteuropa – und schwappt von dort nach Deutschland.
Nun zeigt sich: Das fette Jahr 2000 war weltweit vor allem ein Folge des US-Booms. Deutsche Exporteure wie Pharmakonzerne, Autobauer oder Maschinenhersteller steigerten ihre Ausfuhren um 10 bis 17 Prozent. Noch im Dezember meldeten die Unternehmen eine überdurchschnittliche Kapazitätsauslastung. Die Zahl der Arbeitslosen war innerhalb von zwölf Monaten um 160.000 zurückgegangen. Erst der rasante Anstieg der Ölpreise im letzten Herbst dämpfte die Hochstimmung. Die Baubranche verzeichnete im Januar fast 7 Prozent weniger Aufträge als im Vorjahresmonat. In der Industrie ist die Produktion im Januar um rund 3 Prozent zurückgegangen.
Vielleicht könnte der Kanzler vom US-Präsidenten lernen. Wenn George W. Bush heute hü will und morgen hott, sagt er einfach: Da habe ich mich eben geirrt. Und hat alles wieder im Griff.
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