: Eine Lektion über die Liebe
■ Ebenso außergewöhnlich wie selbstverständlich: Anthony Pilavachis Inszenierung von Mozarts oft unterschätzter „Cosi fan tutte“ am Bremer Theater am Goetheplatz
Man teilt nichts Neues mit, wenn man sagt, dass Wolfgang Amadeus Mozarts „Cosi fan tutte“ nicht nur in keiner Weise lustig, sondern im Gegenteil eine der Opern ist, die am tiefsten den menschlichen Kosmos aus- und beleuchten: „Cosi fan tutte“ ist Mozarts vielschichtigste Partitur. Trotzdem ist in der allgemeinen Meinung noch immer jenes erste Uraufführungs-Urteil präsent, nach dem es sich „um das albernste Zeug von der Welt“ handelt, das sich in der ablehnenden Haltung des neunzehnten Jahrhunderts fortsetzte.
Und auch durchaus kritische Inszenierungen wie die von Andras Friscay, der die Paare am Ende verzweifelt auseinanderlaufen lässt oder die von Ruth Berghaus, die ihre Paare symbolisch auf Eis ausrutschen ließ oder die von Didier von Orlofsky kürzlich in Oldenburg, in der sich am Ende alle anbrüllen, zeigen noch immer das für jede Regie Allerschwierigste: die konstruierte Künstlichkeit der Geschichte zu übersetzen in das Drama des Lebens, von dem die Musik Mozarts so eindeutig spricht.
Cosi fan tutte: Mozarts Kammerspiel erzählt die üble Wette des alternden Philosophen Don Alfonso mit seinen Freunden Guglielmo und Ferrando, dass Frauen nicht treu seien. Und dass er ihnen das beweise, wenn beide ihm zwölf Stunden gehorchen. Sie müssen verkleidet den jeweils gegenseitigen Bräuten, den Schwestern Dorabella und Fiordiligi den Hof machen. Dorabella FÄLLT als erste, Fiordiligi als zweite, die neuen Paare arrangieren die Hochzeitsfeier. Da kommen die alten zurück, nehmen die Entschuldigungen ihrer Frauen an und es wird ein furioses Happy end gesungen.
Selbstredend ist allerdings viel zu viel passiert, als dass das noch möglich wäre. Anthony Pilavachi setzt in seiner neuen Inszenierung am Bremer Theater einen erschütternden Schluss, der das Publikum sekundenlang daran hindert, zu applaudieren: Exakt auf den Schlussakkord erschießt Guglielmo den Alfonso, eine nahezu folgerichtige Handlung.
Es ist die Quittung für den menschenverachtenden Spaß, den sich Alfonso in seiner Ferienvilla – fiktive fünfziger Jahre – geleistet hat: Mit schwarz-weißen Schuhen, knallrotem Hemd, Gel in den Haaren, riesigen Ringen an den Fingern ist er – ungemein präsent gezeichnet von Karsten Küsters – ein zynischer Zuhälter, ein Macho.
Dem Schuss voran geht ein deutliche Umarmung von Fiordiligi und Ferrando, die sich gefunden haben. Nur sie haben in dieser Inszenierung eine Chance, Dorabella und Guglielmo sind die Verlierer. Pilavachi hat nicht nur da sehr genau auf die Musik gehört: Auch die barocke Metaphorik der Fiordiligi deutet er weniger als Standfestigkeit denn vielmehr als Angst, die sie vor dem jähzornigen und gewalttätigen Guglielmo hat. Kristen Strejc gelingt eine große, tragische, bis zu ihrem Treffen mit Ferrando vor allem einsame Figur. Die Inszenierung ist voll von äußerst genauer Musikauslegung - so, wenn Dorabella nur so platzt vor Sehnsucht, dem Neuen in die Arme zu fallen. Daniela Sindram macht das wunderbar mit vielen, auch lustigen Nuancen. Von Liebe haben alle vier zu Anfang der Wette noch keine Ahnung. Wunderbar findet Pilavachi besonders im zweiten Akt zu einem stets das Tempo wechselnden Verhältnis von Rezitativen und Arien.
Selten auch hat man die Männer so grundverschieden gesehen wie hier. Armin Kolarczyck als Guglielmo: narzistisch und aufbrausend kann er der tiefen Sensibilität von Tomislav Muzek als Ferrando menschlich nicht das Wasser reichen. Ungemein komisch Katherine Stone als Despina, die es perfekt versteht, ihre inzwischen recht scharfe Stimme in die Rollenauffassung zu integrieren: Despina als reife Frau.
Die sängerische Palme gebührt Sindram und Muzek. Graham Jackson mit dem Philharmonischen Staatsorchester findet nach anfänglicher Zähflüssigkeit und Koordinierungsproblemen mit der Bühne zu einem schlanken, gut akzentuierten Mozartstil mit durchweg beeindruckenden Tempi: ein spannender, kurzweiliger Opernabend mit einfallsreichen Kostümen von Jutta Delorme und einem Design-Bühnenbild von Piero Vinciguerra.
Ute Schalz-Laurenze
Nächste Aufführungen: 18., 27.April, 8., 11.,20. Mai 19.30-23h
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