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Elfriede, nichts als Elfriede

Der sanfte Regisseur Jossi Wieler inszeniert in Zürich Elfriede Jelineks Stück „Macht nichts“ und sucht zwischen den Liedern Schuberts, den Balladen Goethes und den Untoten der österreichischen Restauration nach Verwandtschaftsbeziehungen

von TOBI MÜLLER

Sie kann sich wandeln und aufputzen wie Madonna, die Elfriede Jelinek. Im Gegensatz zur Popikone gewährt man ihr aber wenig Bedeutungsspielraum und zurrt sie stets wieder fest: Am Pfahl des kläffenden Widerstands, auf dem Schragen ihrer (Frauen-)Biografie oder am Lehrstuhl ihrer Theoriefestigkeit in Sachen Geschlecht, Geschichte und Medienapparate.

Jossi Wieler nun ist ein Regisseur, der mit dem scheinbar sanften Gleichmut des Chronisten die spezifische Nacherzählung versucht. Nicht von Elfriede Jelinek natürlich, sondern von ihren für das Theater so sperrigen Texte. Nach „Wolken.Heim“ und „er nicht als er“ inszeniert er mit „Macht nichts“ den dritten Jelinek-Abend, diesmal am Schauspielhaus Zürich. Dort vermeidet Wieler einen weiteren Schulanschluss (wenn auch nicht den dümmsten): Worauf welcher Körper im „postdramatischen“ Theater Jelinekscher Prägung verweist, das überlässt der Abend den Willigen. Unwillige wohnen immerhin einer fast anachronistischen „Uraufführung“ bei. So stark spürt man die Umsicht Wielers, hier Würde am Text – im Theater mit einem neuen Text immer auch: an der Autorin – walten zu lassen.

Wo der Close-Reading-Regisseur sich ein wenig wehrt, bietet er uns etwas Sinn an. Es geht um die Familie. Wie ihre Mitglieder aus den Gräbern kriechen, wird uns erspart. Bei Einsatz der Musik aber torkeln sie amtlich, selbst im Sitzen. Eine streckt dabei richtig die Arme aus. So was von tot sind die. Oder es schwankt das Schiff, das trunkene. Denn was Anna Viebrock – zum Glück in Marthalers Team in Zürich – da hingebaut hat, verschränkt wieder manches zur charmanten Uneindeutigkeit: Drei große Fenster, wie stattliche Bürgerhäuser sie zum Garten hin aufweisen, eröffnen eine angemottete Stube mit dem Zombie-Tisch, und das Ganze steht auf hohen Pfeilern wie eine vergessene Bohrinsel. Unten gibt es kein Wasser mehr, dafür eine Patrouille in Form eines Jägers, der im ersten Teil sein Gesicht verbirgt. Wir hocken auf der Tribüne in der Betonbox, auf Augenhöhe mit der Verdammnis.

Wer sitzt nun und will nicht verwesen? Erst einmal Graham F. Valentine, Sylvana Krappatsch und André Jung, die man zu Beginn lange durch die muffigen Gardinen anschauen kann (und sich bereits zu Recht freuen darf: auf nichts als Kunst). Dann stellt sich im Verlauf von zwei Stunden heraus: Der dürre Valentine im Morgenmantel und leichtem Rouge auf den Backen ist Paula Wessely, die Burgtheater- und Filmlegende, die den lange verschwiegenen Sprung aus dem „Dritten Reich“ in die österreichische Restauration geschafft hat. Krappatsch ist das nach Wahr- und Schönheit suchende Mädchen und Schneewittchen, das im Gespräch mit dem Tod (Ludwig Boettger im Jägerkleid) diesen zu bannen trachtet. Und André Jung gibt zum Schluss den Wanderer an Orte, der nirgendwo hinkommt.

Es sind also Schubert-Lieder, die für so etwas wie eine Gliederung sorgen. Ansonsten sprechen die Zitat- und Geschichtsträger für sich alleine, nur der Familientisch behauptet, dass diese Figuren etwas gemeinsam haben. Vielleicht die Sehnsucht nach Identität, der nie enden wollende Versuch, durch stetig nach Fäulnis riechendes Reden doch noch eine Geschichte zu behaupten und einen Familienroman zu schreiben, der gerade in der Lossagung vom Gewesenen die Vergangenheit überhöht. Wie wenn sich Kinder andere Eltern imaginieren, die den leiblichen auf einmal so ähneln.

Paula Wessely (die Erlkönigin, laut Text), der Tod und das Mädchen, der Wanderer, der den schwachen Vater gibt – den nie verbürgten: pater semper incertus. Niemand „ist“ hier, „Sein“ ist nicht bei Jelinek. Das ahnen die Figuren selbst und sprechen es bisweilen auch aus. Wie die Erlkönigin, wenn sie geradezu strukturalistisch über Macht spricht: „Andrerseits braucht die Macht keine Namen, auch wenn sie welche bekommt . . . Wir sind ihre Künstlernamen!“ Künstler, dazu sind hier alle verdammt.

Eine alte, etwas zu groß geratene Straßenlampe beleuchtet den Stubencontainer auf Säulen, als sei’s ein Lager – oder ein Seminar. Wenn Krappatsch, die von sprachlos über geschwätzig bis verängstigt viele Register zieht und bravourös die Formbarkeit „verkörpert“, vor dem Fenster in Pin-up-Pose verharrt; wenn das Wimmern ab Tonband die untoten Geschichtskonstrukteure einholt; oder vor allem dann, wenn sich die Offenheit von Jelineks intertextuellem Verfahren in ihr Gegenteil verkehrt (in eine sich selbst sanktionierende Bildungsautorität nämlich), dann möchte man lieber einen Tisch voller Bücher, eine Woche Zeit und eine gierige Lesegruppe vor sich haben. Wielers Demut und die bezaubernden (fast flunkernden) Schauspieler zeigen so zwei Gesichter in einem: ein gutes und gerechtes, dem das Pathos vor dem enigmatischen Werk plötzlich sehr strenge Züge verleiht.

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