: Ein Youngster, der aufs Ganze geht
Mit 16 Jahren Lust auf Geschäfte, mit 18 eine eigene Aktiengesellschaft, mit 19 Abiturient mit großen Plänen: Sinan Carikci verkauft billige Expo-Souvenirs, plant teure Entsalzungsanlagen in der Wüste und träumt von einer Bundestagskandidatur
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Dem einen verdirbt ein Pickel den ganzen Tag, dem anderen die Freigabe eines Kinofilmes erst ab 18 Jahre. Als Sinan Carikci 16 Jahre alt war, hatte er andere Sorgen. Er ärgerte sich, dass er nicht mitmischen durfte in der Geschäftswelt der Erwachsenen.
„Mit 16 wollte ich Granitstein aus der Konkursmasse eines Unternehmens an einen türkischen Konzern verkaufen“, erzählt er. Obwohl er Kunden gefunden habe und das Geschäft zustande gekommen sei, habe er die millionenschwere Provision nicht bekommen. Auch bei weiteren Ausflügen in die Welt der Großen blickte er in die Röhre. „Man hat mich nicht ernst genommen“, sagt er. Doch wirklich sauer ist er darüber nicht. Denn: „Als 16-Jähriger muss man nicht Millionär werden. Man lernt, was in der Welt vor sich geht.“ Dafür nahm er in Kauf, sich „als kleiner Fisch im großen Ozean“ zu fühlen.
Mittlerweile ist der in Berlin geborene Sinan Carikci 19 Jahre alt und macht neben seinem Abitur nun selber Verträge. Doch schnell merkte der Sohn eines Bauleiters und einer Hausfrau, dass es auch für Erwachsene Tücken in der Geschäftswelt gibt. Anfang des Jahres vermittelte ihm sein Onkel ein Kommissionsgeschäft zur Übernahme von 3,5 Millionen Expo-Souvenirs von einem türkischen Unternehmer aus Berlin, für den sein Onkel als Bauleiter arbeitet.
So kam er in den Besitz von Unmengen an Topflappen, T-Shirts, Porzellantassen, Schlüsselanhänger, Regenponchos und Kugelschreibern mit dem Aufdruck „Expo 2000“, die er in sechs Ratenzahlungen à 350.000 Mark bezahlen sollte. Er mietete in einem Lager in Spandau und im türkischen Kaufhaus „Adese“ am Kottbusser Damm Verkaufsflächen und ließ auf Plakaten die vor einem knappen halben Jahr zu Ende gegangene Expo wieder auferstehen. „Die Expo war ein einmalig teueres Spektakel. Konnten Sie auch nichts kaufen? Wir bringen es in Ordnung. Bis zu 90 Prozent reduziert.“
Doch die Anfangseuphorie ist längst verflogen. Hieß es vor wenigen Wochen noch in einer Boulevardzeitung „Berliner Türke, 19, will Expo-Schrott vergolden“, hat sich mittlerweile Ernüchterung breit gemacht. Sinan Carikci fühlt sich von dem Landsmann, von dem er die Souvenirs übernahm, hintergangen. „Er ließ im Lager in Spandau die Schlüssel austauschen und wollte schon kurz nach Verkaufsbeginn die erste Rate.“ Jetzt ist der andere wieder der Besitzer der Ware, doch Carikci darf – Ratenvereinbarung hin oder her – weiter im „Adese“ verkaufen und die Einnahmen behalten. Als Entschädigung für seine bisherige Arbeit. Obwohl beide betonen, dass man sich in Deutschland an Vereinbarungen zu halten habe, endete das Geschäft wie auf einem türkischen Basar.
Sinan Carikci trauert den Topflappen und T-Shirts nicht nach. Die Expo-Souvenirs waren sowieso nur Peanuts für ihn. „Statt mich mit Porzellantassen rumzuschlagen, baue ich lieber ein konkurrenzloses Produkt.“ Ganz ernsthaft erzählt er, dessen Generation eigentlich in „New economy“ macht, von seinem Projekt in Sachen „Old economy“: 20 Millionen Mark teure Entsalzungsanlagen mit regenerativen Energien in trinkwasserarmen Ländern. Obwohl Sinan Carikci noch nicht das Gründungskapital für seine Aktiengesellschaft zusammenhat, obwohl er von filmreifen Treffen mit Ölscheichs als potentiellen Investoren erzählt, die in teuren Hotels den gesamten Bestand teurer Designerhandtaschen aufkaufen, und obwohl er noch keine definitiven Zusagen hat – er wirkt nicht wie ein jugendlicher Spinner, der die Bodenhaftung verloren hat.
Sinan Carikci ist ein ernsthafter junger Mann, der beweisen will, dass es nicht nur arbeitslose junge Türken in Berlin gibt. Er glaubt an sich, an seine Visionen und an den Bedarf für seine Anlage, die aus Salz- Süßwasser macht. Der Grund: „Wasser ist wertvoller als Erdöl. Bei Kriegen im Nahen Osten wird es ums Wasser gehen.“
Sinan Carikci, der Internationales Wirtschafts- und Handelsrecht in England oder den USA studieren will, interessiert sich neben der Wirtschaft auch für Politik. Im vergangenen Jahr ist er der CDU in Neukölln beigetreten. Nicht weil er der Partei nahe steht, sondern weil er deren „Ausländerpolitik auf dem Rücken von türkischen Gemüsehändlern“ unerträglich findet. Dem will er etwas entgegensetzen. Statt bei der Jungen Union als Brieföffner anzufangen und sich langsam hochzuarbeiten, will er gleich aufs Ganze gehen und plant eine Bundestagskandidatur für die nächste Wahl. Dass ihn noch niemand kennt, stört ihn nicht. Dann wird man ihn eben kennen lernen.
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