: Nicht nur ein Cello-Clown
■ Zwischen Klassikbetrieb und Improv-Keller: Ernst Reijseger
„Ich habe nie die Absicht, humorvoll zu sein, ich versuche nur, Musik zu machen.“ Nicht der frühe Herman van Veen spricht da, auf seinem Flügel die Saiten mit der Hand zupfend. Auch nicht der versierte Pianist Hans Liberg, der gerade wieder einmal durch die Orte ernsthaften Musiktreibens tingelt, um die locker sich wähnenden Teile des Klassikpublikums mit allerlei Schabernack zu unterhalten. Wer sich aber im Aufspüren nationaler (Humor-) Mentalitäten versuchte, würde bei Ernst Reijseger, von dem der Satz stammt, die genannten Landsleute und ihren Umgang mit dem Material wiederfinden – „In Holland fürchtet man sich nicht, ironisch zu sein, Fragezeichen zu setzen, während man spielt.“
Reijsegers Instrument ist das Cello, und wenn sein Label dem Soloalbum Colla Parte eine Woody Allen-Anekdote mit auf den Weg schickte, in der ein Anfänger selbiges Instrument zu blasen versucht, korrespondiert das mit Reijsegers Herangehensweise. Längst ist es dem 47-Jährigen lästig, darauf reduziert zu werden, dass er, vermeintlich unsachgemäß, sein Cello spielt wie eine Gitarre, es umherträgt und -schleift, auf dem Korpus trommelt, dazu pfeift und die Saiten mit dem Kinn drückt. Dahinter steht mehr als Clownerie, nämlich ein gerne immer wieder aufzufrischendes Anliegen: dem Instrument die kanonisierte Verwendung abspenstig zu machen, um befreit zwischen verschiedenen Genres und ihren Ausdrucksweisen hin- und herwechseln zu können.
So bedient sich Reijseger bei Klassik, Neuer Musik und Jazz, hat für Songs von Irving Berlin genauso etwas übrig wie für freie Improvisation mit immer wieder neuen Partnern und in diversen Formationen. Diesen Eklektizismus bezeichnet er als Resultat seiner musikalischen Biografie zwischen Schülerbands und den Jazzplatten des großen Bruders, Musikwettbewerben und Konzertbesuchen, Cello- und – Woody Allen, übernehmen Sie – Blockflötenunterricht.
Wenn Ernst Reijseger jetzt für zwei Abende in Hamburg gastiert, sind also unterschiedliche Programme zu erwarten. Das heutige Solokonzert in der Christianskirche dürfte sich wie Colla Parte zwischen improvisationsnahen klassischen Instrumentalformen und der titelgebenden Begleitung der Singstimme bewegen. Morgen dann teilt er die Bühne mit dem Kontrabassisten Peter Niklas Wilson und den jüngst zum Trio geschrumpften Improv-Hasen von Stockheinz Karlhausen. Alexander Diehl
heute, 20.30 Uhr, Christianskirche (Klopstockplatz); mit Peter Niklas Wilson/Stockheinz Karlhausen: morgen, 22 Uhr, Astra Stube
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