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■ Urdrüs wahre KolumneReinheit statt Einheit!

Von Haus aus fällt es mir leicht, die Rolle des skeptischen Griesgram zu geben, für den alle über Hammer und Sichel hinausweisende Technologie von Übel ist. Bestätigung dafür findet sich in den pubertären Kommunikationsformen von SMS bis Chatroom, die wohl im Wesentlichen die smarte Nachfolge des eher prolligen CB-Funks angetreten haben. Alles Rodger, na klar. Und dieser Tage fällt mir eine CD-ROM des Software-Produzenten S.A.D. in die Finger „mit 1111 coolen SMS-Sprüchen“, um den pickeligen Handybratzen Hilfestellung bei der Anmache zu geben: „5-4-3-2-1-PLATSCH! Soeben hat mich dein Kuss getroffen“, heißt es da – und wehe, ich sage euch – eher wird aus einem derart abgeschmatzten Frosch ein leibhaftiger Turnlehrer oder Tankwart springen als ein edler Prinz. Und außerdem zerstören Handystrahlen die Hirnströme, aber das hat bei dieser Klientel nicht viel zu bedeuten...

„Mussene Rägen wecke, danne Umsatz brummt!“ versichert der Inhaber des Eissalons dem einsamen Kunden, der ihm gerade sein spezielles Mitgefühl über die derzeitige Flaute bei Vanille, Kokos und Spaghetti-Eis zum Ausdruck brachte. Wer dies prinzipiell nicht weiter erwähnenswert findet, der sei darauf verwiesen, dass der Gelateria-Mann sonst ein geradezu perfektes und akzentfreies Deutsch spricht – aber wenn es gilt, dem freundlichen Deutschmann das geliebte Klichee zu erfüllen, kennt dieser polyglotte Eisonkel keine didaktisch-dialektischen Skrupel!

Irgendein Scherzkeks, vermutlich aus den Reihen der Leserschaft dieses Blattes, weist das Prana-Haus offenbar regelmäßig an, mir sein Magazin für esoterische Hilfsmittel von der handgeschnitzten Traumelfe über das Kirschkern-Meditationskissen bis hin zum tibetanischen Windspiel zu schicken. Ich bitte, davon Abstand zu nehmen und setze mich sonst mit einem Jahresabo der Merkhefte des 2001-Versands zur Wehr!

Am 23.April jährt sich zum 485. mal der Tag, da das Reinheitsgebot des Deutschen Bieres begründet wurde. Und bitte ich alle Freundinnen und Freunde dieser literarischen Lebenshilfe, auf das Ereignis zu diesem Datum mit mir anzustoßen: Reinheit statt Einheit! Ein wahrer nationaler Feiertag, der auch uns mal mit Stolz erfüllen kann...

„Wir müssen jetzt eine Schippe drauflegen“ –so soll Jens Eckhoff für die CDU-Fraktion den Einsatz für bremische Zukunftstechnologien begründet haben und dieses Bild, es freut dann doch: Der Jens mit dem Helm des Maurerpoliers, die futuristischen Wege in eine neue Welt beschreibend. Und halten allerdings in Erinnerung an Eckhoffs Vergangenheit als Galopper des Jahres dagegen: „Die Sporen geben, aber nicht durchgehen lassen“.

Im Waller Sonderpostenladen schaut eine ältere Dame verwirrt auf ein Zweikilo-Glas mit eingelegten Knoblauchzehen und fragt mich schließlich: „Wer soll denn das aufessen?“ Just in diesem Moment packt sich ein mutmaßlich türkischer Mitbürger gleich drei dieser Mammutgläser in den Einkaufswagen, woraufhin die Urwallerin nur noch mit den Achseln zuckt und murmelt: „Kriegen wahrscheinlich viel Besuch, die Leute ...“ Ein Hauch von Neid war dabei nicht zu überhören –und das, obwohl es kein bißchen nach Knobi roch ...

Und um wieder einmal zu belegen, dass das universelle System der Gesamttücke längst jede Hemmung verloren hat, sei das Wort zum Wochenende heute aus der Zeitschrift „Call Center-Profi“ zitiert: „Die Multi-Channel-Strategie ermöglicht dem Unternehmen, Kunden entsprechend ihrer Profitabilität unterschiedliche Interaktionskanäle zur Verfügung zu stellen ...“ Dies zu hören und Wurst und Schnaps und Milch und Obst bei Herbert Busch im Steffensweg oder bei seinen Kollegen hier und da zu kaufen, sollte dem Freund des wahren Lebens da fast schon Verpflichtung sein, meint & mahnt jedenfalls

Ulrich „Emmaladen“ Reineking

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