: Nach dem Crash
Deutschtürken sollen mit ihrem Kindergeld den türkischen Staatshaushalt sanieren, schlägt Faruk Sen vor
KÖLN taz ■ Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, schlägt dem türkischen Staat in einem Neun-Punkte-Maßnahmenkatalog vor, die Ersparnisse der in Europa lebenden Türken zur Bewältigung der Wirtschaftskrise zu nutzen. Die Empfehlungen sowie eine entsprechende Untersuchung hat er laut Medienberichten in der Türkei den verantwortlichen Stellen in Ankara am 17. April übergeben.
In einer Modellrechnung geht Sen von 300.000 investitionswilligen deutschtürkischen Eltern aus. Würden sie ihr Kindergeld für das erste Kind in Höhe von 270 Mark in der Türkei anlegen, könnten in einem Zeitraum von 10 Jahren fast 10 Milliarden Mark in den türkischen Haushalt gespült werden. Natürlich müsse der türkische Staat für entsprechende Verzinsung und Garantien sorgen.
Sen schlägt vor, zunächst vertrauensbildende Maßnahmen einzuleiten, um die potenziellen Kleinanleger aus Europa wieder ins Land holen. Die türkische Regierung könnte zum Beispiel als Investitionsanreiz im Rahmen des Doppelbesteurerungsabkommens zwischen der Türkei und Deutschland auf ihre Steuereinnahmen verzichten.
Der Ökonom Sen fordert weiterhin, dass bei zu privatisierenden Staatsunternehmen wie „Türk Telekom“ oder der Fluggesellschaft „Türk Airlines“ nicht – wie bisher in der Türkei üblich – nur die einheimischen Großkonzerne wie Koc und Sabanci in den Genuss der Aktien kommen, sondern eher die Auslandstürken in Europa. Schließlich verfügten die Türken in Deutschland über ein Sparvolumen von rund 10 Milliarden Mark jährlich. Dieses Geld wird mit fortschreitender Integration der Türken zunehmend in Deutschland investiert.
Auch könnten türkische Großhandelsunternehmen in Deutschland, die zu 75 Prozent im Lebensmittelbereich tätig seien, mehr patriotisches Pflichtgefühl zeigen, meint Sen. Sie sollten ihre Waren nicht wie bisher in südeuropäischen Ländern wie Bulgarien oder Italien kaufen, sondern lieber in der Türkei. Sicherlich seien die Produkte dann etwas teurer, allerdings könnten die türkischstämmigen Unternehmer so auch einen Beitrag zur Bewältigung der Krise in der Türkei leisten.
Für Sens Kindergeldvorschlag trifft es sich gut, dass in Deutschland zurzeit eine Erhöhung diskutiert wird. Folgt man Sens Modellrechnung, so würde eine Erhöhung um 30 Mark dem türkischem Staat Mehreinnahmen in Höhe von einer Milliarde Mark bescheren. Da wird sich der türkische Wirtschaftsminister freuen. AHMET SENYURT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen