: Schlechtes Zeugnis für Europas Musterschüler
EU-Beobachtungsstelle präsentiert Studie zu Fremdenfeindlichkeit. Deutsche schneiden nicht gut ab: Ein Drittel beurteilt Zuwanderung „ambivalent“
BERLIN taz ■ „Die Deutschen sind sicherlich nicht ausreichend auf die Osterweiterung der EU vorbereitet.“ Beate Winkler, Direktorin der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Wien, zog gestern bei der Vorstellung einer Studie zu Fremdenfeindlichkeit in der EU eine negative Bilanz. Im Fall Deutschland wurden Ost und West gegenübergestellt – dabei zeigten sich gravierende Unterschiede vor allem innerhalb der Altersgruppen.
„Mich überrascht es nicht mehr, dass unter den ostdeutschen Jugendlichen die Ablehnung europäischer Normen so hoch ist“, kommentierte Joachim Gauck, ehrenamtlicher Berater des EUMC, das Ergebnis. Während sich in Westdeutschland 13 Prozent der 15- bis 24-Jährigen als „intolerant“ gegenüber Zuwanderern bezeichneten, waren es in Ostdeutschland doppelt so viele (26 Prozent). Gauck hat dafür eine Erklärung: „Das ostdeutsche Umfeld, das traditionell ängstlich gegenüber allem Fremden ist, begünstigt die Angst der Jugendlichen.“
In Westdeutschland hingegen sind es der Studie zufolge vor allem die Älteren ab 55 Jahre, die sich selbst als intolerant gegenüber Zuwanderern bezeichnen (26 Prozent gegenüber 17 Prozent im Osten). Ein Drittel der 2.000 in Deutschland Befragten gab an, der Zuwanderung „ambivalent“ gegenüberzustehen. „Gerade bei diesen Menschen ist die Politik gefordert, Orientierung zu geben und auf die Instrumentalisierung des Themas im Wahlkampf zu verzichten“, so EUMC-Berater Gauck.
Die Studie der EU-Beobachtungsstelle, vor einem Jahr als unabhängige Einrichtung vom Europarat in Wien gegründet, war im vergangenen Frühjahr durchgeführt worden. 16.078 Menschen wurden in den 15 EU-Mitgliedstaaten befragt, im Schnitt sind das 1.000 Interviews pro Land. Die Umfrageergebnisse lassen auch das gesamteuropäische Klima gegenüber Fremden in keinem günstigen Licht erscheinen. „Gerade bei der Schuldzuweisung ist europaweit ein starker Zuwachs zu beobachten – Minderheiten werden also zunehmend für soziale Missstände verantwortlich gemacht“, sagte EUMC-Direktorin Winkler.
Von derlei Sündenbock-Theorien zeugen auch die Ansichten vieler Deutscher: 57 Prozent der Befragten glauben demnach, dass Angehörige von Minderheiten das soziale System ausnutzen. 61 Prozent denken sogar, dass sich durch Ausländer die Arbeitslosigkeit erhöhe. 62 Prozent der befragten Deutschen meinen, Zuwanderer seien überdurchschnittlich oft an Straftaten beteiligt.
Doch die Studie hat nicht nur allgemein die Einstellung gegenüber multikultureller Gesellschaft und Zuwanderung untersucht. Gleichzeitig wurde auch nach der Akzeptanz einzelner Zuwanderungsgruppen gefragt. Die Ergebnisse wertete Beate Winkler als „äußerst interessant“: Menschen aus islamischen Ländern werden am wenigsten vorbehaltlos akzeptiert. Nur 4 Prozent der befragten Ostdeutschen und 8 Prozent der Westdeutschen befürworteten eine unbeschränkte Aufnahme dieser Zuwanderer. Jeder dritte Ostdeutsche war der Ansicht, Muslime sollten nicht aufgenommen werden (32 Prozent), bei den Westdeutschen waren es 29 Prozent. Damit zeigt Deutschland unter allen EU-Ländern die geringste Offenheit gegenüber Muslimen. Eine Tendenz zur Abschottung, die EUMC-Berater Gauck erstaunt. „Ich hätte schon gedacht, dass sich fünfzig Jahre Erziehung zu Zivilgesellschaft und Toleranz in Westdeutschland deutlicher gezeigt hätten.“
ANNA HOLZSCHEITER
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