: Traumvilla Hügel
Luxus ist gesund – sollte aber besser umverteilt werden. Etwa so: vier Monate Kreativität und süßes Leben im Süden, acht Monate Arbeit am gesellschaftlichen Fortschritt. Ein Wunschzettel
von ADRIENNE GOEHLER
Liebe Sabine,
mitten in der Utopienbaisse und Hundskälte, deren Ende unabsehbar ist, will die taz wissen, wie wir leben wollen! Natürlich würde mein linkes Über-Ich mir nie erlauben, meine höchst subjektiven Wünsche preiszugeben, denn die wurden ja schon in Zeiten der allgemeinen Revolutionshoffnung als zu privatistisch missbilligt, aber dir sage ich: Ich brauche diesen warmen Ort im Süden, an dem wir alle es schaffen, bis zu vier Monate im Jahr zu schreiben, zu texten, Konzepte zu entwickeln, uns die Köpfe weich zu diskutieren und so weiter und so fort.
Ich brauche mehr und mehr Banales: Licht, Sonne, Wärme, wenige Menschen, mit denen ich über viele Grenzen will, ohne dies kann ich nichts mehr ändern wollen. Dass L. und P. unseren „Hügel“, wie wir unser Konglomerat nennen, als Familienersatz gewählt haben, ist ein wahres Glück. Sie haben uns den wie archaisch wirkenden Krisen BSE, MKS et cetera entzogen, versorgen uns mit regionalen Gütern, die sie, wenn wir es wollen, auch für uns kochen, und blicken milde auf uns – wie auf ihre Kinder eben –, wenn wir die Regression in vollen Zügen genießen.
Seit es für uns diese leichte Art des Seins gibt, haben auch diese ganzen anstrengenden Kurzurlaube zur immer nur unzulänglichen Wiederherstellung der Arbeitskraft aufgehört. Luxus ist gesund, aber das wussten wir ja im Grunde schon immer. Und wenn wir ihn auch noch umverteilen könnten, dann wären wir den früheren Idealen gar nicht so fern.
Ach, und fast hätte ich es vergessen: Z. und ich sind nach furchtbarsten Kämpfen leicht erschöpft zu dem Schluss gekommen, dass in unserer Differenz doch mehr Bereicherung als Destruktion liegt. Hm. Und das, obwohl wir doch nicht zuletzt von Loriot wissen, dass Frauen und Männer nicht zusammenpassen.
Und was passiert in den restlichen acht Monaten, fern vom Hügel? Ooch, da sind wir nicht wirklich erfolglos.
Wir haben inzwischen eine internationale Frauenuniversität für sieben Jahre installiert, die sich gleichermaßen gut aus MäzenInnen, üppigen Bußgeldern wg. nicht beseitigter Hundescheiße und Bußgeldern gegen das Gebot der Gleichstellung finanziert. Sie ist merklich anders aufgebaut als die allseits männerdominierten Hochschulen, sie vereint Kunst und Wissenschaft, arbeitet weltthemenorientiert, pflegt das Grenzgängerinnenwissen und kennt ausschließlich (!) befristete Arbeitsverhältnisse. Vor allem Letzteres macht uns so attraktiv, dass wir uns Kooperationsangeboten traditioneller Unis erwehren müssen.
Gerade schreibe ich mit anderen für eine grüne Ministerin an einem Konzept für ein gemischtgeschlechtliches Kolleg für Wissenschaft und Kunst. Sie hat verstanden, dass mit dem 21. Jahrhundert das Zeitalter des Visuellen begonnen hat, und will dafür ExpertInnen zusammenbringen. Wenn wir es dann noch schaffen, den „Experten“-Begriff über die traditionellen Felder auszudehnen, und sie davon überzeugen könnten, dass sie sich mit ihrer Erfahrung in politischen Zwängen und Machtausübungen in einen langen, die eigenen Motive wie Ziele überdenkenden und modifizierenden Dialog mit Wissenschaftlerinnen begeben sollte – mindestens drei Jahre Auszeit von der Politik! –, dann hätte sich die Arbeit gelohnt.
Unser lockerer Zusammenschluss „Eingriff im Selbstauftrag“ hat außerdem gute Arbeit geleistet: Rudolf Augstein, der große alte Mann des Nachkriegsjournalismus, hat – obwohl er ihr am liebsten täglich die Leviten lesen würde – die taz gekauft. Nun hat das Rumgeheule ein Ende und keine Entschuldigung für schlampige Recherche oder Hofberichterstattung lassen wir künftig durchgehen.
Demnächst ist mit einem öffentlich diskutierbaren Ergebnis einer international besetzten Kommission zu rechnen, die den Einsatz der Nato im Kosovo bewertet. Die deutsche Regierung musste heftig gedrängt werden, diesen Auftrag zu vergeben. Wir haben es auch geschafft, dieser Kommission unseren Vorschlag zur Begutachtung vorzulegen, die UN-Friedenstruppen (sic!) umzubenennen und völlig neu zu strukturieren. Mit Frauen und Männern, aus unterschiedlichen Lebensaltern, Berufen und Religionen, die durch ihr Wissen und ihre Erfahrung legitimiert sind, an einer zivilen Ordnung mitzuarbeiten, und sich nicht aus dem gleichen schmalen Segment der Jungsoldaten speisen wie die Repräsentanten einer Kriegsordnung.
Das Verblüffendste aber ist die Verabredung von Medien und Politik auf ein „Zeitmoratorium zur Wiederherstellung der Differenz“. Was sich hinter diesem sperrigen Titel verbirgt, vermag niemand so recht zu deuten. Nur die Einsicht ist bekannt, dass die „Fastfoodisierung des Intellekts“, die Reduktion komplexer Zusammenhänge auf Fünfundzwanzigsekundenstatements zur Hauptsendezeit, genau diese Art von Dummheit bei uns Konsumierenden erzeugt, die Politik und Medien beseitigen zu wollen bisher vorgegeben haben.
Mit dieser Erkenntnis könnte sich doch Hoffnung auf eine veränderte Debatte um Zeit verbinden lassen, n’est-ce pas? Erinnerst du dich an den jungen Marx der „Deutschen Ideologie“: „Heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, auch das Essen zu kritisieren, ohne je Jäger, Fischer oder Hirt oder Kritiker zu werden, wie ich gerade Lust habe.“ Auszeit, Rotation, individuelle Forschungszeit, Projektstrukturen auf Zeit. Zeit für die „allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Sprechen“. Das wäre dann nicht nur von Kleist, sondern Zeit-gemäß.
Ich küsse dich.
A.
Ostern 2001
ADRIENNE GOEHLER, 45, ist Präsidentin der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und Teilnehmerin der Auftaktveranstaltung des taz-Kongresses am Freitag, den 27. April, um 20 Uhr. Zusammen mit Thilo Bode, Exgeschäftsführer Greenpeace International; Willi Hoss, Exbetriebsrat Daimler-Benz, Ex-MdB/Die Grünen, Regenwaldaktivist; Angela Marquardt, MdB PDS, diskutiert sie das Thema „Wie wollen wir leben?“ Es moderiert Bettina Gaus, politische Korrespondentin der taz
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