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Das akustische bengalische Feuer

■ Der Meister von Elvis oder Die ganz andere Tradition des Powackelns: Baul Bishwa, ein Wandermusiker aus Bengalen, spielte mit Band ganz ausgelassen im Schlachthof

Elvis hat seinen Meister in Vorderindien gefunden! Solche Hüftschwünge wie die von Baul Bishwa hat der King of Rock'n'Roll nie hingekriegt, so viel Lust und Lebensfreude konnte er nicht mit einer Körperdrehung ausdrücken. Dabei wirkt der kleine, etwas dickliche Bengale ganz unschuldig, in Indien gibt es halt ganz andere Traditionen des Powackelns. Wie gut er aber dabei ist, merkt man im direkten Vergleich mit der Tänzerin, die bei einigen der Stücke über die Bühne wirbelt. Da mag der Radius der Hüft-Rotationen bei ihr zwar an die anatomischen Grenzen stoßen, und die nackten Füßchen mögen sich blitzschnell zu jedem Schlag der Tablas anders verbiegen, aber wirklich zur Sache geht es erst, wenn Baul Bishwa sein bengalisches Feuerlächeln aufsetzt und noch ein paar Runden rumhüpft.

Wie bitte? So darf man nicht über Musiker aus fremden Ländern schreiben? Sie wünschen etwas mehr Ernsthaftigkeit? Aber genau die wäre ja bei einer Beschreibung dieses Auftritts völlig fehl am Platze, denn Baul Bishwa macht fröhliche, ekstatische, sinnliche Musik. „Baul“ der Name dieses Stils, leitet sich aus dem Sanskrit-Wort für „verrückt“ ab, und jedes gespielte Stück an diesem Abend hatte die gleiche ausgelassene, übermütige, positive Grundstimmung.

Dabei störte es kaum, dass man kein Wort des Gesangs verstand. Die Erklärungen von Baul Bishwa waren extrem minimalistisch. „I'm not so educated“, war seine sympathisch offenherzige Entschuldigung dafür, dass er es nach dem ersten Song lieber aufgab, in Pidgin-English jedes Lied zu erklären. Man spürt auch so, dass es Tänze und Lieder über Glück und Liebe sind . In der Intensität der Anrufungen, in der Ernsthaftigkeit, mit der trotz aller Ausgelassenheit Musik gemacht wird, ahnt man auch die Transzendenz in diesen Liedern, etwa die Suche „nach dem inneren Ich vor dem Sonnenuntergang“.

Baul Bishwa und seine sechs Mitspieler spielen keine klassische indische Brahmanenmusik. Alles an ihren Klängen, Bewegungen, Attitüden wirkt erdig, dörflich, elementar. Die Instrumentierung ist mit Tabla, Trommeln, Flöte und einem traditonellen Saiteninstrument wohl seit den acht Generationen, in denen die Familie von Baul Bishwa Musik macht, die gleiche geblieben. Etwas verschämt und heimlich holte der „Gitarrist“ später dann zwar doch ein Banjo hervor, aber das ist dann wohl auch schon das einzige Zugeständnis an diese Zeiten. Oft erinnert Bishwa an die gnadenlos kitschige Musik von indischen Filmen. Wenn er auf der Bühne umherwirbelt, wirkt das wie bei den islamischen Derwisch-Tänzen, und all diese Elemente sind auch in die Sufi-Tradition des „Bauls“ eingegangen.

Aber all das muss man gar nicht wissen, um sich von einem Auftritt von Baul Bishwa mitreißen zu lassen. Die Botschaft geht hier nicht in den Kopf, sondern direkt ins Herz (und in die Beine): Mit dieser Musik wird das Leben gefeiert, die Sinne, der Rausch, die Sonne.

Wilfried Hippen

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