: Verirrt im englischen Garten
Hertha BSC schläfert im Parkstadion erst Tabellenführer Schalke 04, dann aber auch sich selbst ein, verliert am Ende mit 1:3 und macht so die deutsche Fußball-Meisterschaft etwas weniger spannend
von Schalke runterOLIVER THOMAS DOMZALSKI
Die neue Schalke-Arena ist so gut wie fertig – weshalb am Samstagabend das drittletzte Heimspiel im Parkstadion zu sehen war. Und die Spitzenpartie war in der ersten Halbzeit hauptsächlich unter dem Aspekt interessant, wie die Teams den Stadionnamen interpretierten. Bekanntlich gibt es ja zwei ganz gegensätzliche Philosophien, wie ein Park auszusehen hat: französisch oder englisch.
Hertha BSC hatte sich für die geometrische Variante im Versailles-Stil entschieden: Zwei Abwehrketten aus ingesamt neun Spielern standen ordentlich wie Buchsbaumhecken, gehegt und ausgerichtet vom überragenden Chefgärtner Dick van Burik. Griffen die Schalker an, verwandelten sich die Hecken in tückische Irrgärten, in denen die Angreifer sich verzettelten und festrannten. Und dahinter regierte ein Monarch namens Kiraly (ungarisch für „König“), der seinen Strafraum souverän beherrschte. Der für ihn gefährlichste Ball in der ersten Hälfte war bezeichnenderweise eine Rückgabe von Rehmer – aber Kiraly wehrte auch diese heimtückische Intrige in Klassemanier ab. Mit Deislers Tor zum 0:1 schien sich die disziplinierte Taktik auszuzahlen.
Die Schalker hingegen setzten eher auf die Variante „englischer Garten“: Alles wuchs wild durcheinander, sie ließen dem Gast viel Raum für seine Spaziergänge, und in britischer Tradition kloppten sie die Bälle hoch in den Strafraum. Ansonsten spielten sie so, als hätten Herthas Preußen Schilder aufgestellt: „Betreten der Grünfläche verboten“. Einzig Andreas Möller schlug ab und zu einen originellen Pass und ging gegen Ende der ersten Hälfte manchmal sogar selbst in die Spitze, um den enttäuschenden Angreifern Sand und Mpenza sowie den schwachen Flügelspielern Asamoah und Böhme zu zeigen, wie das geht.
Das hätte man auf der anderen Seite auch dem einzigen Hertha-Stürmer Alex Alves zeigen müssen. Was der Brasilianer bot, war geradezu empörend und brachte die Hertha um die Früchte ihrer in der ersten Halbzeit hervorragenden Arbeit, sprich: um einen möglichen Auswärtssieg. In der 5. Minute schob er Oliver Reck einen Elfmeter gegen die Brust und schlug auch das Abprallergeschenk arrogant aus. Kurz darauf brachte er aus aussichtsreichster Vorlagenposition an der Grundlinie nur einen ridikülen Kullerball zustande. Binnen fünf Minuten drei Chancen, aus denen meine Oma mindestens zwei Tore gemacht hätte, Michael Preetz drei und Gerd Müller etwa neunzehn. Danach hätte man Alex Alves auswechseln können, ja: müssen. Aber den Marktwert eines 15-Millionen-Fehleinkaufs senkt man eben nicht mutwillig noch weiter durch eine Strafauswechslung. Also durfte Alves munter weiter dilettieren und reihenweise viel versprechende Bälle verdaddeln.
Auf der anderen Seite wurden paradoxerweise die beiden schlechtesten Schalker der ersten Halbzeit spielentscheidend: Gerald Asamoah setzte sich auf dem rechten Flügel, wo er 50 Minuten lang von Sverrisson komplett abgemeldet worden war, zweimal nacheinander energisch durch und hatte von da an Oberwasser. Sein zweites Dribbling führte zu einem Freistoß – und unter dem genervten Stöhnen der Zuschauer trat erneut Jörg Böhme an, der bis dahin, ebenso wie Möller, alle seine Ecken und Freistöße auf gastfreundlichste Art in Kiralys Arme geschaufelt hatte. Aber diesmal erwischte er einen lichten Moment und hämmerte den Ball zur Verblüffung des flankengewohnten Ungarn aus einem recht spitzen Winkel direkt unter die Latte.
Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie ein Spiel kippt. Plötzlich gelang den Schalkern alles: Sie gingen in die Zweikämpfe, die sie zuvor verweigert hatten, ihre Pässe kamen an, und jeder Abpraller, der zuvor zuverlässig in den Beinen eines Berliners gelandet war, kam jetzt auf Schalke. Nun zeigte sich, dass die Herthaner in der ersten Halbzeit zwar erfolgreich den Gegner eingelullt hatten – aber leider auch sich selbst. Der Dynamik, die elf Schalker Spieler und 56.000 Zuschauer nach dem Ausgleich entfalteten, hatten sie nichts mehr entgegenzusetzen. Und so waren die beiden weiteren Gegentore nur folgerichtig. Hätte man aber nach 15 Minuten für Alves einen anderen Stürmer gebracht – die Meisterschaft wäre jetzt möglicherweise noch spannender.
P.S. Wenn der Schiri nicht erwähnt wird, heißt das, er war gut. Also erwähnen wir Herrn Fandel.
Schalke 04: Reck - Hajto, Nemec, Van Hoogdalem - Oude Kamphuis, Büskens (86. Happe), Böhme, Asamoah (90. Eigenrauch), Möller - Sand (88. Mulder), MpenzaHertha BSC: Kiraly - Sverrisson, van Burik, Schmidt - Rehmer, Maas (83. Ali Daei), Tretschok (83. Preetz), Konstantinidis, Hartmann (68. Simunic), Deisler - AlvesZuschauer: 56.556; Tore: 0:1 Deisler (34.), 1:1 Böhme (56.), 2:1 van Hoogdalem (79.), 3:1 Mpenza (86.)
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