: Italiens Linke leicht im Aufwind
Die Regierungskoalition stellt nach einem Kongress ihr Wahlprogramm vor. Die Massen strömen nach Rom und feiern sich als Alternative zu Berlusconi. Der Medienzar wird zunehmend nervös und erfindet „Terrordrohungen“ gegen sich selbst
aus Rom MICHAEL BRAUN
„Danke, dass ihr gekommen seid! Wer hätte das gedacht, dass wir diesen Platz komplett füllen würden!“ Francesco Rutelli strahlte wie ein Geburtstagskind, während seine Augen über das weite Rund der Piazza del Popolo schweiften, über das Meer der roten Fahnen der Linksdemokraten, der grünen Banner des Ulivo-Bündnisses, über die wohl 50.000 Anhänger, die aus ganz Italien zur Großkundgebung nach Rom gefunden hatten, auf der die Regierungskoalition zum Abschluss eines zweitägigen Kongresses ihr Wahlprogramm vorstellte.
In der Tat hatte kaum jemand mit diesem Mobilisierungserfolg gerechnet, erst recht nicht nach dem äußerst müde verlaufenen Kongress. Vor halb leerem Saal hatten die Größen des Ulivo am Freitag und Samstag lustlos debattiert; nichts war zu spüren von der Begeisterung, die vor fünf Jahren Romano Prodi zum Sieg getragen hatte. Als der Generalstab der Koalition – sieben Parteivorsitzende, Exministerpräsident Massimo D'Alema und sein Nachfolger Giuliano Amato, dazu diverse Minister und Fraktionschefs – dann am Samstagnachmittag die Bühne auf der Piazza betrat, da war der Siegeswille von 1996 plötzlich wieder da. Rutelli und Co. mussten ihren Optimismus nicht mehr mühsam spielen.
„La dif-fe-renza!“ Gleich zweimal hintereinander skandierte Rutelli zum Auftakt seiner Rede Silbe für Silbe die Marschroute des Wahlkampfs. Um den radikalen „Unterschied“ zur Berlusconi-Rechten gehe es von nun an. Der besteht vor allem darin, dass der Ulivo sich wieder der Wähler von links erinnert. Das „Italien der vielen“ gelte es dem von Berlusconi verteidigten „Italien der Privilegien für wenige“ gegenüberzustellen.
Rutelli rechnete vor, dass Berlusconis Steuersenkungsversprechen zu 80 Prozent den Großverdienern zugute kommen. Der Ulivo dagegen will jetzt Steuerentlastungen, von denen vor allem Kleinverdiener profitieren: Singles mit einem Verdienst bis zu 20.000 Mark, Familien mit bis zu 45.000 Mark jährlich sollen von der Einkommensteuer befreit werden.
Außerdem stellt die Mitte-links-Koalition den Ausbau des sozialen Netzes in Aussicht. Eine Arbeitslosensicherung für alle (die es in Italien bisher nicht gibt), Ausbau des staatlichen Gesundheitsdienstes statt der von der Rechten favorisierten Förderung privater Anbieter, massive Beschäftigungsprogramme für Jugendliche und eine Bildungsoffensive – mit diesen Punkten will das Ölbaumbündnis vor allem die Unentschlossenen aus den eigenen Reihen wieder zurück an die Wahlurnen locken.
Den größten Beifall erhielten Rutelli und die andren Redner aber jedes Mal, wenn sie den Unterschied zur Rechten an Berlusconi selbst bebilderten. Italien brauche keinen Padrone, der mit seiner milliardenschweren Materialschlacht „das Land kauft“, der mit „Fotoromanen“ (gemeint ist das Berlusconi-Beweihräucherungsbuch, das die Rechte derzeit unters Volk bringt) und traumtänzerischen Versprechen die Macht erobern wolle. Je deutlicher dieser Unterschied werde, umso nervöser werde sein Gegner, so Rutelli zum Schluss seiner Rede, denn auch Berlusconi wisse, „dass wir ihn auf der Zielgeraden überholen werden“.
Bis dahin ist es noch ein Stück, denn die Rechte liegt in den Meinungsumfragen weiter vorn. Doch Mitte-Links hat einige Punkte aufgeholt – und Berlusconi zeigt tatsächlich wachsende Nervosität. Am Freitag trommelte er die Presse zusammen, um mitzuteilen, dass er alle Großveranstaltungen abgesagt habe, da er wegen „Terrordrohungen“ um sein Leben fürchten müsse, für die er vorneweg die Mitte-links-Allianz verantwortlich machte.
Doch einen Tag später nur blamierte sich Berlusconi ordentlich. Als konkreten Beleg für seine Gefährdung wusste er nur einen Drohanruf von 1999 zu zitieren. Wenn es so weitergeht, dann mag es durchaus sein, dass die Rechung der Linken aufgeht – dass ihr stärkster Mann im Wahlkampf Silvio Berlusconi heißt.
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