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Skelett im Kornfeld

Wie lebt es sich als heiße Kartoffel? Gemeinsam mit Hector Zazou bringt Sandy Dillon ihren Cut-up-Blues auf Clubtour

Eine merkwürdige Stimme. Sandy Dillon hat lange daran gearbeitet. Dabei sind die Übungen ziemlich einfach: Morgens nach dem Aufstehen mit dem Rauchen anfangen, „dann klingt es abends besonders gut“, sagt Dillon, zündet sich am Telefon eine Kippe an, und ihr Lachen macht ein heiser schleifendes Geräusch, als hätte jemand am anderen Ende, in einem Amsterdamer Hotelzimmer, eine Schachtel Schrauben geschüttelt.

Doch, doch, Dillon hat Humor. Über ihre Arbeit mit Hector Zazou meint sie: „Wir haben einen Wettbewerb laufen, welche unserer Platten sich kaputter anhört.“ Außerdem mag sie, dass sich der französische Komponist für die Konzerttour, bei der er die Sängerin am Theremin begleitet, immer schön herausputzt – auch wenn er Turnschuhe zum Anzug trägt.

Das alles erzählt sie hoch vergnügt und eher mit britischem Understatement. Diese Einstellung dürfte vermutlich auch geholfen haben, als die gebürtige Bostoner Musikerin nach einer klassischen Ausbildung und einem kurzen Hype als Janis-Joplin-Interpretin in der New Yorker Schwulenszene vor 15 Jahren nach London übersiedelte. Damals lagen zwei fertig produzierte Platten bei Elektra auf Eis, weil die US-Firma nicht recht wusste, wie man Dillons Musik vermarkten sollte. Zwar ist die Verwandtschaft zu Tom Waits groß, und auch das angenehme Durcheinander eines Captain Beefheart spürt man bei ihren diversen Cut-ups aus Blues und New-Orleans-Rhythmen schnell heraus. Aber offenbar entsprach ein „girl full of distortion“ doch nicht der Idee einer Major Company, die schon in Zeiten von Punk lieber auf Eagles, West Coast und Joni Mitchell setzte. Also kam es zur Trennung, denn „Hintergrundmusik für Zahnarztpraxen“, so Dillon, „die kann ich ja später immer noch aufnehmen“.

In England hatte sie mehr Glück mit ihrem leicht aus der Spur geratenen Songwriting. Nach dem Debüt „Electric Chair“ wurde jetzt „East Overshoe“ auf dem Label veröffentlicht, das sonst unter anderem für Björk zuständig ist. Dillon wiederum gefällt es, „dass man bei One Little Indian keine Namensschildchen tragen muss, damit die Manager wissen, welches Produkt ihnen da gerade über den Weg läuft“. Niemand redet ihr bei der Auswahl der Stücke hinein, niemand findet einen Song zehn Sekunden zu lang für eine Single – und an die Charts denkt bei den ächzenden Klavierballaden ohnehin keiner. Dafür hat Dillon aber sehr schöne Bilder, wenn sie beschreibt, wie ihre Songs über „Filth and Dust“ oder ein Leben als heiße Kartoffel funktionieren: „Wenn wir Musik machen, kommen Lieder heraus, die wie ein Skelett sind, über das wir verschiedene Kleider gehängt haben.“ Manchmal kann dieses Skelett auch eine Vogelscheuche sein, die im gelben Kornfeld steht. Das hat Vincent van Gogh gemalt. Und der ist mittlerweile mehr als major. HARALD FRICKE

Sandy Dillon & Hector Zazou spielen: 24. 4. Köln, 25. 4. Bremen, 28. 4. Hamburg, 29. 4. Frankfurt, 30. 4. Berlin.

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