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Ohne Zivis keine Angriffskriege

Hochsicherheitsprozess gegen totalen Kriegsdienstverweigerer  ■ Von Magda Schneider

Ein wichtiges Urteil für Kriegsdienstgegner steht auf dem Prüfstand. Nachdem das Amtsgericht Hamburg-Harburg im November den totalen Kriegsdienstverweigerer Jan Reher (23) vom Vorwurf der Dienstflucht freigesprochen hat – ein einzigartiges Urteil – geht es nun im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg ab nächsten Montag um den perspektivischen Umgang mit konsequenten Kriegsdienstverweigerern.

Das Verfahren steht allerdings atmosphärisch unter keinem güns-tigen Stern. So hat der Vorsitzende Richter Michael Kaut eine umfangreiche Sicherheitsverfügung erlassen, als tage ein Kriegsverbrechertribunal. Wissenshungrigen unter 18 Jahren ist der Zutritt zum Gerichtssaal verboten, alle anderen ZuschauerInnen müssen sich einer Personenkontrolle unterziehen und werden mit Sonden auf Waffen untersucht. Die Verteidigung hat deshalb gegen Kaut einen Befangenheitsantrag gestellt.

Ungeachtet dessen – daran können auch Sicherheitsvorkehrungen wie bei einem Staatsschutzverfahren nichts ändern – findet der Prozess unter politisch veränderten Rahmenbedingungen statt. Die Mär vergangener Jahrzehnte, Kriegsdienstverweigerer seien „Drückeberger“ und die Bundeswehr eine Verteidigungsarmee, welche Menschen und Demokratie vor den bösen Kommunisten aus dem Osten schützt, ist nicht mehr aufrecht zu erhalten. Spätestens durch die Beteiligung der Bundeswehr am Nato-Angriffskrieg auf Jugoslawien vor zwei Jahren ist deutlich geworden, dass die vereinigte deutsch-deutsche Armee längst Teil der offensiv-aggressiven NATO-Strategien ist.

Daher träumt der straßenkampferprobte grüne Außenminister Joschka Fischer bereits offen von einer bundesdeutschen Eingreiftruppe, welche die „nationalen Interessen“ – also Kapitalmärkte und Rohstoffinteressen – sichert. Schon längst befindet sich die Bundeswehr unter Rot-Grün im Umbruch zu einer hochtechnologisierten Angriffs- und Interventionsarmee. Und wer an der Front einen Krieg gewinnen will, braucht ein ruhiges Hinterland.

„Der Zivildienst geht genau wie der direkte Waffendienst bei der Bundeswehr in die Gesamtstrategie ein“, sagt Reher. „Selbst das Verteidigungsministerium bestreitet nicht, dass Kriege ohne Zivildienstleistende nicht führbar sind.“

Daher hatte der der Student für Roboter-Technologie an der TU-Harburg nach seiner Einberufung im März 1999 seinen Zivildienst in einem Pflegeheim in Bad Bramstedt nicht angetreten. Eigentlich hatte er sich zunächst sogar auf den Zivildienst gefreut. Dann jedoch hatte er ein Schlüsselerlebnis, das seine Sichtweise veränderte: „Ein Prozess eines Freundes, der total verweigert hat, hat mir die Augen geöffnet“, sagt Reher.

Den Sinneswandel konnte der Harburger Amtsrichter Ulf Panzer vor sechs Monaten offensichtlich nachvollziehen. Sein Urteil: „Eine Verurteilung zu einer Strafe bei diesem Angeklagten, der sich auf der Grundlage seines persönlichen Wissens zur Verweigerung auch des zivilen Ersatzdienstes entschlossen hat, würde sich als Miss-achtung seiner individuellen Würde darstellen.“

Prozess: Montag, 30. April, 10 Uhr im Anbau des Landgerichts Hamburg, Kapstadtring 1

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