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Putzdienst und Kriegspsychosen

■ Krieg beherrscht die Szenerie: Opfertode und postsozialistische Individualisierung in Vietnam-Filmen des Metropolis

Sind das Soldatinnen? „Wir lachen die ganze Zeit und ohne jeden Grund.“ Es sind junge Frauen in voller Teenagerblüte. Sie giggeln, sie kichern, dann schauen sie kokett verschämt zur Seite, um sofort wieder loszuprusten. Es sind die „Zehn Mädchen von Dong Loc“. Als Frauentrupp haben sie die Aufgabe, Blindgänger des US-Bombardements zu zünden und so zu beseitigen. Dabei fallen sie einem Luftangriff zum Opfer: Heldinnen des vietnamesischen Volkes.

Das scheint uns jedenfalls Kreuzung Dong Loc erzählen zu wollen, laut Regisseur Luu Trong Ninh in staatlichem Auftrag produziert. Doch der Widerspruch zwischen dem Ernst des Krieges und der Flirrigkeit der gezeigten pubertären Rasselbande ist so eklatant, dass man diesen Film – zumindest als westlicher Betrachter – kaum noch als propagandistische Legendenpflege verstehen kann. Das Bombenräumen sieht aus wie ein Ausflug. Der männliche Kommandant wird ausgelacht, als er sich bei der BH-Zuteilung mit den Größen vertut. Die Mädchen himmeln ihn an, fesseln ihn aber auch schon mal beim Herumtollen an einen Baum. Natürlich wirkt da der abschließende Opfertod um so brutaler.

Der Krieg beherrscht auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung das vietnamesische Kino. Doch das Land befindet sich im Wandel. Den Weg in die investorenfreundliche Zivilgesellschaft macht Chung Cu (Das Wohnhaus) in Gestalt der Geschichte eines Hotels in Saigon nachvollziehbar. Der Film der Regisseurin Viet Linh hat zwar noch den gewissen sozialistisch öffentlich-rechtlichen Touch, schüttelt solche filmsprachlichen Steifheiten aber in manch eigensinniger Einstellung ab. Nach dem Sieg des Nordens wird das Victory-Hotel in ein Offiziersquartier umgewandelt. Portier Tamh, als Hausmeister weiterbeschäftigt, ist von der Solidarität der Soldaten beeindruckt. Zwischen Putzdienst und Kriegspsychose finden Paare zusammen, Kinder wachsen, Tamhs Bart wird weiß. Doch mit dem Aufschwung der Friedenswirtschaft erwachen bürgerliche Bedürfnisse nach den eigenen vier Wänden, immer mehr Bewohner ziehen aus. Als das Hotel schließlich einem Neubau weichen und abgerissen werden soll, versteht der greise Tamh die Welt nicht mehr. Seine tiefe Trauer über den aufkommenden Individualismus ist ein melancholisches Fragezeichen hinter den jüngsten marktwirtschaftlichen Entwicklungen – was den Film aus offizieller Reform-Perspektive fast schon wieder als linksabweichlerisch erscheinen lässt. Jakob Hesler

Kreuzung Dong Loc: 1.5., 21.15 Uhr + 2.5., 17 Uhr; Die lange Reise: 15.5., 21.15 Uhr + 17.5., 17 Uhr; Das Wohnhaus: 21.5., 21.15 Uhr + 22.5., 17 Uhr, Metropolis

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