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Brecht neu erleben

■ Die Brecht-Tournee Hanna Schygullas hat ihre Premiere in Bremen. Grund genug für ein Interview. Dort zeigt sie sich ungeahnt politisch

Kurz nachdem Irm Hermann souverän die reizvoll zickende (und reizvoll meuchelnde) Lady in Schwabs „Volksvernichtung“ hinlegte, gastiert nun eine zweite Fassbinder-Heroin in Bremen, die in München aufgewachsene in Paris lebende Hanna Schygulla. Weil aber zum Thema Fassbinder, seinem Schweben zwischen Anarchie und Hierarchie, zwischen Förderung und Ausbeutung, bereits hunderttausend, nicht selten gähnförderne Essays, Interviews, Promotionen erschienen sind, lassen wir das Thema links liegen. Es geht also um Brecht. Warum im Jahr 2001?

Hanna Schygulla: Da müsste man auf die Entstehungsgeschichte des Abends zurücckommen. Die Cité de la musique, das ist das wichtigste Musikzentrum von Paris, bat mich, zum Geburtstag Kurt Weills ein Abendprogramm zu entwickeln. Und dazu wollte ich unbedingt auch Hanns Eisler interpretieren, um die Ungerechtigkeit ein biss-chen wieder gut zu machen, dass er immer in Weills Schatten steht. Und der kürzeste Bindestrich zwischen den beiden ist nun mal Brecht. Was mir allerdings ziemlich willkommen war. Denn Brecht hat schon bei der frühen Schullektüre deutlich seine Spuren in mir hinterlassen. Und da stellte sich natürlich die Frage: Wie kann man nach den unzähligen Brechtabenden, noch einen weiteren machen, den es so noch nicht gab. Die Antwort war gar nicht so schwer: Ich mache meinen persönlichen Brecht; den Brecht, der mein Leben beeinflusst hat – und nicht nur hat. Ich werde auftreten als jemand, der ICH sagt und ICH meint. Natürlich gibt es auch die Rolle, da Brecht schließlich nicht die naturalistische Guckkasten-Bühne wollte.

Und was heißt Ich-Sagen?

Das heißt: Ich schrieb auch sehr persönliche Zwischentexte – über meinen ersten Theaterbesuch, meinen ersten Bühnenauftritt etcetera. Ich gab dann das ganze Paket einer jungen Regisseurin, Julie Brochen, und die filterte heraus, was auch für andere Generationen interessant sein könnte. Und oft ging es dabei darum, wie Gedächtnis funktioniert. Dass es über Assoziationen funktioniert. In der Pariser Fassung suchte ich nach wilden Reimen, manchmal fast ein bisschen rapartig, weil es schließlich mein Wunsch war, besonders junges brechtunkundiges Publikum für Brecht zu gewinnen.

Eher mit dem politischen Brecht oder dem Brecht der Liebeslieder?

Beides. Ein wichtiger Moment in der Schule: als ich das Gedicht des Baal, des Gott ohne Jenseits, laut vorgelesen hatte. Brecht war damals nämlich wichtige Munition gegen den katholischen Kinderglauben.

Schöne Koinzidenz: Hier in Bremen ist zur Zeit auch Baal zu sehen, und es zeigte sich: Dieser pathetische Gestus des Antibürgerlichen ist heutzutage schwer zu inszenieren.

Die Ekstasen des Augenblicks anstelle des Überbaus, der Vorrang des „Hier und Jetzt“: das war aber damals für uns Vierzehnjährige sehr wichtig. „Denken ist verändern.“ Und Brechts ätzender Blick auf die Gesellschaft traf – später dann – mitten hinein ins Herz der APO-Zeit. Dieses Wissen über die Marionettenfäden des Großkapitals, an denen wir baumeln.

Aber legt man diesen ätzenden Blick nicht irgendwann ab, weils dann bequemer wird?

Natürlich gibt es keinen Sinn, diese Gesellschaft immer nur an einen Ort stemmen zu wollen, an dem sie schlicht und einfach NICHT steht. Vielleicht ist dieser Blick im Zorn aber auch am schwinden, weil es heutzutage den klar lokalisierbaren Feind nicht mehr so recht gibt. Da haben wir also die großen Konglomerate. Die sind aber mehr oder weniger anonym. Die Ergebnisse sind aber nach wie vor unangenehm konkret: Hier Hunderttausende ausgelaufene Tonnen Öl, dort eine humanitäre Aktion im Kosovo, bei der es auf ein paar Tonnen genschädigenden Urans nicht drauf anzukommen scheint. Und dann auch noch eine BSE-Krise, nachdem man seit mehr als zehn Jahren debattiert über die Gefährlichkeit von Tiermehlverfütterung. Eines aber hat sich nicht geändert: Dass im Dienst des maximalen Profits mit uns gemacht wird, was wir nicht durchschauen.

Aber nachmal ist die Welt doch auch interessant.

Was finden Sie denn interessant? Wirklich? Wo?

Bitte sagen Sie's mir.

Wohl nur da, wo es nicht um Geldmacherei geht. Aber Versuche, die Welt auf den Kopf zu stellen, führen zur persönlichen Tragik. Aus dem, was man nicht ändern kann, muss man das Beste zu machen. Ich gehöre beileibe nicht zu den Leuten, die sagen: Die Welt wird schlechter und schlechter. Doch erkennen sollte man dann doch: Die Welt wird gefährlicher und gefährlicher.

Zurück zu Brecht.

Er ist ein guter Wachmacher.

Ist da nicht Zeitgenössisches geeigneter? Schließlich haben Sie mit vielen moderneren Autoren/Komponisten/Regisseuren kooperiert: Wajda, Scola, Godard.

Die Jungautorin Judith Herrmann, die ich übrigens durchaus mag, sagte mal: Ach, wir sollten doch die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen. Da denke ich mir, eine Dosis Brecht täte der Welt durchaus wieder gut. Diese Gesellschaft sitzt dem gefährlichen Mythos auf, alles würde sich von selber regeln. Der wilde Kapitalismus richtet schon alles ein. Wirklich? Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer zahlreicher.

Was singen Sie eigentlich im Konzert?

Bekanntes und Unbekanntes. Weill und Eisler. Viel Unvermeidliches ist dabei. Aus Mahagonny, Schweijk, der Dreigroschenoper. Über Liebe, über Politik, etwa „Das Wiegenlied einer deutschen Mutter“: „Mein Sohn, was auch immer aus dir wird, ich steh mit Knüppeln schon bereit, mein Sohn ist auf dieser Erde nur der Schuttablagerungsplatz, schon besetzt.“ Finden's Sie denn nicht ziemlich modern, voller Ironie? Ein Liebeslied? Politisch? Oder: „Zuerst war es immer Sonntag. Das war, bis ich mitging mit dir. Doch dann nach fünf Wochen war dir nichts recht an mir.“

Ist Weill-Ehefrau Lotte Lenya ein Vorbild?

Als ich siebzehn war, hat sie in mir den Wunsch auslöste zu singen.

Als Agnes Varda Sie um die Teilnahme an ihrem cineastischen Megaprojekt „100 Jahre Monsieur Cinema“ an der Seite von Piccoli, Deneuve, eben allen internatinalen oscarfähigen Stars bat. Stolz?

Ach. Nööö. Nachträglich ärgere ich mich, mitgemacht zu haben. Meine Szene in dem Film fand ich eher blöde. Logisch, dass ich eingeladen wurde. Fassbinder hat irgendwie Filmgeschichte gemacht.

Vielleicht waren es ja auch die vielen cha-rismatischen Schauspieler, die da an einem Ort, zur selben Zeit glücklich zusammenfanden?

Nein. Wir wären nichts gewesen ohne ihn.

Ist das nicht nur der Mythos um einen vorzeitig Verstorbenen?

Ich will Ihnen das jetzt nicht ausreden. Aber nachdem ich vom Schauspielstudium vorzeitig abgegangen bin, war es doch Fassbinder, der mich letztendlich doch noch für die Schauspielerei gewonnen hatte. Eine Margit Carstensen, Rosl Zech, Barbara Sukowa hat es schon vor Fassbinder gegeben.

Ist es Zufall, dass Sie mit Fassbinder und Brecht gleich zweimal mit Männern zu tun hatten, die berüchtigt sind für ihr problematisches Verhältnis zu ihren Liebes-und Arbeitsgenossinnen?

Wohl nicht. Aber eigentlich kam ich zu Brecht über die Musik. Meine zweite Karriere begann ich mit der Interpretation neuer Musik, die Jean-Marie Sénia für mich komponierte. Viele Menschen rieten mir: Mach Brecht. Ich winkte ab: zu oft gemacht. Über viele Umwege – ein junger griechischer Komponist bestürmte mich mit Eisler – landete ich dann eben doch bei Brecht.

Es sind immer die Umwege...

... und das sind die magischen Wege. Aber zurück zu Brecht und den Frauen als Coautorinnen, auch das ist ein Thema des Konzerts. Der Kreis um Brecht war wohl eine Art Modellversuch, bei dem man teilen muss, weil die Liebe eben keineswegs so absolut ist, wie man es ihr nachsagt. Und das geschah in einer Zeit, wo man über freie Liebe noch nicht so frei dachte.

Was möchten Sie noch spielen?

Vielleicht die „Unwürdige Greisin“, eine Erzählung Brechts, in der eine alte Frau sich entschließt, ihr Leben nochmal von Grund auf umzukrempeln.

Ich denke, Sie haben keinen Grund, ihr Leben umzukrempeln.

Es ist immer sehr wichtig, neue Schritte zu machen. Als das Filmen drohte, Routine zu werden und die Umstände nicht mehr recht stimmten, war es für mich neu, eigene Programme zu entwickeln: Diese Urangst zu überwinden, wenn man selber für alles verantwortlich ist.

Sie haben immer der Versuchung stand gehalten, in mittelmäßigen TV-Produktionen mitzumachen.

Das ist für mich keine Versuchung. Überhaupt keine Lust. Könnte ich gar nicht. Ich will aber das Fernsehen nicht schlecht machen. Ich stehe auch nicht unter dem inneren Zwang, möglichst viel Geld zu verdienen.

Und die immense Steigerung der Sichtbarkeit einer Prson durch TV-Auftritte.

Sichtbarkeit ist nicht unwichtig. Aber ich hoffe, meine ist noch nicht ganz verblasst. Ich glaube, den Luxus kann ich mir erlauben, Sachen zu machen, hinter denen ich stehe.

Warum leben Sie in Paris?

Weil mich die Liebe dahin verschlagen hat. München habe ich hinter mir. Und ich gehe nicht gerne zurück, ganz im Allgemeinen. Marseille könnte ich mir noch vorstellen, diese sonnige Stadt am Meer, Knotenpunkt verschiedener Kulturen. bk

2. Mai, Glocke 20h, Tel.: 353637, Tel.: am Klavier: Jean-Marie Senia, Bühnenregie: Dominique Bourdin, Bühne: Lise Brochen

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