: Die letzten Tage der Unschuld
So stilverliebt waren die 80er wohl nur retrospektiv: Zoot Woman fügen sich in den Neo-Eighties-Trend. Und leben nun selbst in der Welt aus Magazinen, TV und anderem Glamour, von der sie singen
von TOBIAS RAPP
Es gibt keine Unschuld. Sollte man meinen. Gibt es nicht, oder sollte es besser nicht geben, weil sie für nichts als Unbill sorgt. Man verliert sie, man wirft sie weg, man sucht sie bei anderen und zu guter Letzt ist sie nichts weiter als eine Herrschaftskategorie. Sitzt man jedoch den Brüdern Blake gegenüber, Johnny und Adam, zwei Drittel der Band Zoot Woman, glaubt man auf einmal wieder daran. So jung, hübsch, schlau, gut angezogen, aufgeregt, verbindlich, naiv und freundlich, begeisterungsfähig schauen sie einen an – und man wagt sich gar nicht vorzustellen, dass sie wahrscheinlich schon in wenigen Monaten miese, fertige, zynische Popstars sind. Dann, wenn ihre wunderbare Platte nämlich überall rauf und runter gespielt wird. Wenn die Hure Babylon sie in ihren Klauen hat, sie erst einmal selbst von der Macht gekostet haben, vor zehntausenden von Leuten aufgetreten sind und sie genügend Artikel über sich gelesen haben, um zu glauben, sie seien die Größten, die Errettung der Popmusik vor dem schlechten Geschmack.
So weit ist es aber noch nicht. Noch sitzen sie in einem hübschen Hotelzimmer, frisch hergeflogen aus Reading, einer kleinen Stadt eine halbe Stunde westlich von London. So adrett wie sie aussehen, hat ihre Mutter ihnen wahrscheinlich den Koffer gepackt und noch mit auf den Weg gegeben, immer höflich zu sein, Fremden bei der Begrüßung in die Augen zu blicken, immer „Thank you“ und „It was a pleasure“ zu sagen und für alles Interesse zu signalisieren. Der Dritte im Bunde fehlt: Stuart Price – der unter dem Namen Les Rhythmes Digitales schon ein kleine Berühmtheit ist, das Projekt aber für Zoot Woman aufgegeben hat, um zusammen mit den Blake-Brüdern eine große Berühmtheit zu werden. Denn so ist „Living In A Magazine“ angelegt. Als der große Wurf – ein Album, das sich nicht nur die Klänge aus den Achtzigern schnappt und neu verarbeitet, sondern das pop- und stilverliebt ist, wie es die Achtziger selbst nur retrospektiv zu sein scheinen.
Damit das Ganze nicht als Retro verhandelt wird, behaupten sie, sie seien Ultramodernisten, was natürlich auch ein bisschen stimmt – nehmen sie sich doch aus verschiedenen Epochen das, was damals in die Zukunft wies. Trotzdem ist das Ganze natürlich Teil des ganzen Neo-Eighties-Trends, der gerade die Magazine und Tanzflächen beherrscht. Die Platte hört sich manchmal an wie Duran Duran, manchmal wie Hall & Oates. Und unter der Oberfläche des Sounds sind die Songs tatsächlich einfach gute Songs: Stücke, die eine Punkrock-Band oder eine Jazzgruppe covern könnte, und es wären immer noch gute Songs.
Bei Zoot Woman stimmt sowieso alles: Der Name setzt sich zusammen aus Zoot Suit, einem Kleidungsstück, das vom Los Angeles der Vierziger bis zu den Mods der Sechziger eine Popkarriere hinter sich hat, und Woman – klar. „Wir fanden, der Name sieht gut aus“, sagt Johnny Blake, der ältere der beiden Brüder. Das Plattencover ziert nichts weiter als der Name der Band, in einer Art New-Wave-Typografie. Und die beiden Brüder haben genau den frisch gewaschenen Jungscharme, den es braucht, um überzeugend Zeilen zu singen wie „It’s a physical feeling/ I gotta change this city.“
Ein bisschen ist „Living In A Magazine“ ein Konzeptalbum. Es geht um Information-Overload. Um ein Mädchen, das die schöne Oberfläche liebt. Es geht darum, in einer Welt von Magazinen, Fernsehen und Ähnlichem Glamour-Plattformen zu leben, Teil davon zu sein, das alles aufregend zu finden und ein bisschen unheimlich. „Wir sind keine Fashion-Victims. Aber es ist schon interessant, jetzt auf einmal in Magazinen wie The Face aufzutauchen, vor denen hatten wir immer so viel Angst. Jetzt leben wir selbst in Magazinen. Aber das hat ja auch seine dunkle Seite: Nichts von dem, was in den Medien vorkommt, ist ja wirklich real.“ Genau. Nichts ist wirklich real außer der Glaube, dass die Medien die Welt verschönern könnten und dass es toll ist, da mitzumachen.
Es ist aber nicht zu sehr Konzeptalbum: Man soll es sich auch einfach nur so anhören können. Und außerdem wollen Zoot Woman live spielen: Nicht einfach nur auf der Bühne stehen, nein, mit Schminke und Anzügen und tollen Schuhen. „Schade, dass das Festival von Glastonbury dieses Jahr ausfällt, da hätten wir gerne gespielt.“ Wären die weißen Anzüge dort nicht dreckig geworden? „Vielleicht hast du Recht, da haben wir gar nicht dran gedacht. Überall kleine Matschspritzer – wer weiß, vielleicht sähe das ja glossy aus.“ So richtig ultramodern ist es natürlich nicht, eine Band zu betreiben, aber so richtig wichtig ist das mit der Moderne ja eh nicht.
All diese Fragen, all diese Antworten – hallo? Hier geht es nicht um den Schall. Hier geht es um den Rauch, um das Feuer, das deep inside dieser jungen Menschen brennt. „Living In A Magazine“ ist genau die Art von Album, wie eine Band sie nur einmal macht: das erste Mal. Der Rest – der Größenwahn, das Durchblicken, das Alles-Mitnehmen, die Enttäuschung, die Einsamkeit, das Misstrauen, die Degeneration, die Bandauflösung und das Comeback – all das ist schon angelegt. So adrett Zoot Woman einen anstrahlen: Man sieht ihnen die aufgeplatzten Oberlippen und die durchgeätzten Nasenscheidewände schon an. Man könnte glauben, hier werde zum hundertsten Mal das Drama „Die Rettung der Popmusik“ gegeben. Doch was den Reiz der Platte ausmacht, ist, dass es nur so aussieht: In Wirklichkeit ist es das Stück „Verlorene Unschuld“.
Zoot Woman: „Living In A Magazine“ (Labels/Virgin)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen