daumenkino: „Lost Killers“
Ethnokitsch
Solche deutschen Filme zeigen sie gerne in Cannes. Die Geschichte muss am Rande der Gesellschaft spielen, das Milieu sollte von äußerster Tristesse geprägt sein, und die Schauspieler dürfen Underdogs und Outlaws mimen, die sich mit ihren Träumen vom besseren Leben vorteilhaft von den dumpfen Teutonen abheben.
Kein Wunder also, dass „Lost Killers“ von Dito Tsintsadze im letzten Jahr an der Côte d’Azur seine Uraufführung erlebte und danach auf den Filmfestivals von Tessaloniki und Cottbus prämiert wurde. Outlaws als Helden gehen ja eigentlich in Ordnung, und wenn man die Krauts dabei als verklemmte Spießer vorführt, kann das sehr unterhaltsam sein. Aber ein bisschen Mühe sollte man sich schon dabei geben. Dito Tsintsadze hingegen setzt auf Ethnokitsch der billigsten Sorte, Multikulti vom Grabbeltisch.
Fünf Illegale aus allen Ecken und Enden der Welt versuchen, sich im öden Mannheim durchzuschlagen, und werden dabei, so will es das gut gemeinte Drehbuch, zu einer mal fröhlichen, mal zerstrittenen, aber immer tapferen Notgemeinschaft.
Da sind zum Beispiel die Prostituierte Lan aus Vietnam (die übrigens nur auf den Strich geht, um ihr zerstörtes Gebiss reparieren zu lassen) und der ehemalige Kampfsportler Carlos aus Haiti. Carlos trägt Poncho, träumt von Australien, trommelt in der Fußgängerzone auf Bongos und singt dazu „La Bamba“. Kaum ein Passant nimmt Notiz von seinem Geschrammel. Doch dann kommt Lan im Minirock vorbei, bleibt stehen, stimmt in „La Bamba“ ein und tanzt ausgelassen dazu. Oh, la Bamba – das muss jetzt wohl das Sinnbild für den unbeugsamen Lebenswillen der Beleidigten und Ausgestoßenen sein. Die vietnamesische-haitianische Freundschaft wird anschließend an einem Dönerimbiss mit einer Lahmacun besiegelt und verschafft Lan später einen tranceartigen Orgasmus. Schon irre, was so alles passieren kann, wenn man dem Ethnokitsch hemmungslos nachgibt.
Auch dem Kroaten Branko und dem Georgier Merab, den verhinderten Auftragskillern des Filmtitels, passieren ständig solche Sachen. Da gehen sie im Park spazieren und werden von einem eingeborenen Mannheimer angepfiffen, doch bitte schön wie alle anderen den Gehweg zu benutzen und nicht über den Rasen zu laufen. So abgedroschene und längst verweste Teutonenklischees hat sich schon lange niemand mehr getraut, ernsthaft auf die Leinwand zu bringen. Gänzlich traumatisiert von dieser ausgestorben geglaubten Rasen-betreten-verboten-Ideologie werden Branko und Merab am Abend zusammen mit Maria, einer feurigen Kubanerin (ja, auch das noch), Unmengen von Rotwein und Slibowitz in sich reinschütten. Dann wird Branko betrunken und verzweifelt in die Nacht brüllen „Irgendwelche Menschen hier?“ Nein, natürlich nicht, denn der ganze Film besteht ja ausschließlich aus Witzfiguren.
ENNO BOHLMANN
„Lost Killers“. Regie: Dito Tsintsadze. Mit Nicole Seelig, Misel Maticević, Lasha Bakradze, Elie „James“ Blezes, Franca Kastein Ferreira Alves u. a. Deutschland 2000, 101 Min.
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