: Bremsklötze der Informationsgesellschaft
■ Trotz aller Todesurteile über die Malerei wird weiter gemalt. Mittlerweile haben KünstlerInnen auch mit dem altmodischen Medium Tafelbild wieder etwas zu sagen. Die Städtische Galerie Delmenhorst prescht dabei voran
Eigentlich war das Stück vorbei und der letzte Vorhang für die Malerei schon längst gefallen. „Maler sind dumm“, hatte Marcel Duchamp, einer der Hauptdarsteller auf der Bühne der Kunst des 20. Jahrhunderts, schon vor Jahrzehnten gesagt. „Die Malerei ist tot“, sekundierte bis in die Gegenwart ein Chor namhafter und namenloser KritikerInnen. Und auf den ersten Blick stimmt das auch: Fotografie und Film hatten den MalerInnen die Arbeit des Dokumentierens abgenommen. Die MalerInnen selbst haben daraufhin bloß noch die Grenzen des Tafelbildes, der Komposition und des Farbauftrags ausgelotet und die Kunstgeschichte um ein paar Neo-ismen bereichert. Mehr war nicht, mehr ist nicht. Punkt. Aus. Vorhang.
Auf den zweiten Blick stellt sich heraus, dass sich kaum jemand um die Todesurteile schert. Tag für Tag bringt der Postbote neue Bilder und Kataloge in Galerien, Museen und Kulturredaktionen. Sie sind der Beweis, dass unverdrossen weiter Farbe zu Papier gebracht, auf die Leinwand oder auf Metallplatten aufgetragen wird. Den größten Teil davon würde Marcel Duchamp auch heute noch für dumm halten. Doch bei einigen Bildern wäre vermutlich selbst er sprachlos. Und auch der Chor der Richter und Henker würde schweigen.
Ein Bild in braun, links Häuserdächer, rechts ein rotes Etwas, das Linien wie Wellen „hinter sich herzieht“: Dirk Skrebers unbetiteltes Bild ist ein Katastrophenszenario. Der 1961 geborene und im verganenen Jahr mit dem Preis der Freunde der Berliner Nationalgalerie ausgezeichnete Künstler hat eine der Überschwemmungen der letzten Jahre hinter einer kühl-gelackt wirkenden Oberfläche im Breitwandformat festgehalten. Jetzt hängt das Bild mit dem Mississippi-Überschwemmungs-Motiv ausgerechnet in der Städtischen Galerie der Stadt Delmenhorst, die vor ein paar Jahren ebenfalls unter Wasser stand.
Das Bild gehört zu den neuen, strittigen und vor allem lebendigen Positionen der Malerei, die Galerie-Leiterin Barbara Alms ausgewählt hat. Nach ihren Angaben ist die Galerie das erste Haus in Deutschland, das eine Strömung in der Malerei vorstellt, die schon wieder ein „Neo“ im Etikett führt: den neuen Realismus.
Unter dem Titel „Die Wirklichkeit in der zeitgenössischen Malerei“ präsentiert Alms Arbeiten von zehn KünstlerInnen aus den USA, Deutschland, Österreich und Groß-Britannien. Sie alle sind zwischen 1960 und 1970 geboren, sie alle sind durch die Diskussion des 20. Jahrhunderts hindurchgegangen. „Ihre Malerei ist nicht dumm, sondern kühl, klug und selbstbewusst“, sagt Alms, deren ambitioniertes Programm weit über Delmenhorst hinausstrahlt und eigentlich auch Bremen zu wünschen wäre.
Während zurzeit in der Städtischen Galerie Bremen vier junge Chinesen ihren erfrischenden so genannten zynischen Realismus und ihre Polit-Pop-Art zeigen, taucht der neue Realismus West in Delmenhorst aus der medialen Bilderflut auf. Die jungen MalerInnen sind mit Film, Comics, Zeitschriften und Fernsehen sowie der (politischen) Propaganda Europas und Amerikas aufgewachsen. Doch sie verhalten sich wie Bremsklötze in der Informationsgesellschaft, stellen ihre Versprechungen in Frage oder entlarven sie.
Da ist Dirk Skreber mit seinen harmlosen Häuserbildern, die mit malerischen Mittel durch eine katastrophische Atmosphäre aufgeladen werden. Neben ihm ist da Heribert C. Ottersbach. Er verwendet alte Fotografien aus medizinischen Laboren und übersetzt sie in Comic-hafte Skizzen aus einer Welt naiven Fortschrittsglaubens. Auch der gerade in der Weserburg gezeigte Leipziger Neo Rauch malt Comic-ähnliche und zugleich surrealistische Abgesänge auf die verblassten Heilsversprechen einer technisierten Gesellschaft. Hier täuscht keiner mehr vor, ganz neue Bilder zu erfinden. Hier ist Goyas „Ya visto“ („Schon gesehen“) ein Faktum, mit dem offen umgegangen wird.
Der in Dresden lebende Martin Eder etwa hängt Küken-, Kätzchen- und Mädchen-Bilder nebeneinander. Seine Quellen: Tierzeitschriften und Pornos. In der Zusammenstellung wirken diese Hamilton-kitschigen Bilder aus Kinderzimmer und Teenager-Fetischismus aus dem Sex-Supermarkt unheilvoll. Vielleicht könnte man diese Wirkung auch mit Fotos erzeugen. (Ab-) gemalt sind sie zumindest ebenbürtig. So wie Elizabeth Peytons privat wirkende Porträts von Kritikern und Malern. Sie erinnern an Nan Goldins Fotos. Doch auch diese Bilder sind keine Originale, sondern Illustriertenzitate. Mit der Zeit, die diese MalerInnen für ihre (Ab-) Bilder brauchen, halten sie inne, frieren die Bilderflut für einen Moment ein.
Oder sie schauen wie Elke Krystufek in ihren Selbstportraits auf das eigene Spiegelbild. „I don't want anything than planet sanity“, schreibt die Wienerin auf eins ihrer Bilder. Das ist mal ein Wunsch. Zumindest tragen sie und die neun anderen beispielhaft ausgewählten KollegInnen dazu bei, dass es mit der Malerei gesundheitlich wieder aufwärts geht. Christoph Köster
Bis zum 26. August in der Städtischen Galerie Delmenhorst, Fischstraße 30. Geöffnet: Di-So 10-17, Do 10-20 Uhr. Katalog 28 Mark. Infos über Führungen und Programm in unseren Terminhinweisen oder unter Tel.: 04221/14 132 sowie im Internet www.staedtische-galerie-delmenhorst.de
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