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JugendwahnGrell Geschminkt

Falko Hennig, Jahrgang 1969, ist Schriftsteller und Vorsitzender der Charles-Bukowski-Gesellschaft. Seit vielen Jahren lebt der Ostberliner in der Lottumstraße in Prenzlauer Berg. Seit der Kiez saniert wurde, vermisst Hennig das Leben in Ruinen und den „würzigen Geruch von Braunkohlenqualm“.

„Nicht, dass ich Abgase und maroden Bauzustand verteidigen wollte. Ich sehe die Notwendigkeit der Sanierung, um die Häuser zu retten, sofort ein. Aber die grauen, rissigen Fassaden kannte ich, ich war aufgewachsen mit dem bröckelnden Putz, das war meine Heimat. In der DDR gab es nur die Wahl zwischen heruntergekommenen Altbauten und hässlichen Plattenhochhäusern. Ganze historische Stadtquartiere wurden durch Vernachlässigung zerstört. Nicht zuletzt wegen des dort hausenden aufmüpfigen Gesindels: Tätowierte mit Gefängnisvergangenheit, Prostituierte, die es offiziell nicht geben durfte. Asozialität stand unter Strafe, und asozial war jeder, der seine Einkünfte nicht nachweisen konnte. Man hoffte, diese Menschen in übersichtlichen Wohnquartieren besser überwachen zu können. Für die Rettung dieser Stadtviertel ist die DDR gerade noch rechtzeitig zusammengebrochen. Doch ist Berlin dadurch nicht schöner geworden. Berlin ist aber auch nie eine schöne Stadt gewesen. Der klassizistische Größenwahn mit 30 Meter breiten Straßen, der Abriss der mittelalterlichen Bauten – nicht an „Spree-Athen“ erinnerte die Besucher Berlin um 1900, Mark Twain nannte es ‚the german Chicago‘.

Dann, nach der Teilung, wurden in Westberlin Autobahntrassen durch Wohnquartiere geschlagen, in Ostberlin am architektonischen Renommee des Sozialismus in unmenschlichem Maßstab gebaut. All das hat die hässliche Stadt nicht verschönert. Und doch hatte der Verfall in Ostberlin so manchem Stadtbezirk eine charakteristische Patina verliehen. Auf mich wirkt die umfassende Sanierung, als hätte man die schönen Züge einer Greisin für eine schrille Talkshow hergerichtet, grell geschminkt, die Falten in absurdem Jugendwahn verkleistert.“

Der Text „Berliner Kreislauf“ von Falko Hennig ist erschienen im „Literaturmagazin 46“: Traumstadtbuch. New York, Berlin, Moskau. Rowohlt Verlag, Reinbek 2001. 192 Seiten. 20 DM.

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