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Handwerk fürchtet Europa

Senat: Unternehmen können von der EU-Osterweiterung profitieren. DGB moniert ungenügende Vorbereitung und fordert Bildungsoffensive für gering Qualifizierte

Die Region Berlin-Brandenburg ist nur ungenügend auf die Ost-Erweiterung der Europäischen Union (EU) vorbereitet. Diese Ansicht vertrat gestern DGB-Landesvize Bernd Rissman auf der Auftaktveranstaltung „Berliner Wirtschaft unterwegs in ein größeres Europa“ im Roten Rathaus. Der Senat will mit der Veranstaltungsreihe die Berliner Unternehmen auf die anstehende EU-Erweiterung einstimmen.

Nach Ansicht Rissmanns könnte eine „Zuspitzung der Zuwanderung“ gering qualifizierter Arbeitnehmer im Bau-, Reinigungs- und Gastronomiegewerbe verdrängen. Rissmann forderte für die Betroffenen deshalb eine Qualifizierungsoffensive. Zudem müsste durchgesetzt werden, dass ausländische Beschäftigte nach Berliner Tarifen entlohnt werden. Der Senat müsse zudem seine rigorose Sparpolitik beenden und für mehr Investitionen sorgen. Eine wirtschaftlich besser gestellte Region hätte auch mit der Erweiterung weniger Schwierigkeiten. Ins gleiche Horn stieß der Chef der Berliner Handwerkskammer, Hans-Dieter Blaese. Er begrüßte zwar die EU-Erweiterung, das Handwerk werde allerdings „ganz erheblich in seiner Existenz betroffen sein“. Die Handwerker fürchten osteuropäische Konkurrenten, die deutlich geringere Löhne zahlten.

Demgegenüber hob Axel Bunz, Leiter der EU-Vertretung in Deutschland hervor, dass es durch die Erweiterung zu keinem „Wettbewerbsschock für Deutschland und Berlin“ komme. Probleme gebe es höchsten in einzelnen Branchen und Regionen. Banz kündigte einen EU-Sonderfonds in Höhe von 620 Millionen Euro zur Entwicklung der Grenzregionen an.

Wirtschaftsenator Wolfgang Branoner (CDU) trat den in der Bevölkerung verbreiteten Befürchtungen entgegen. Die EU-Erweiterung bedeute vor allem ein Chance für die Region. Diese rücke damit von einer Randlage immer mehr in den Mittelpunkt der Gemeinschaft. Ähnlich sah es der Chef der Industrie- und Handelskammer (IHK), Wolfgang Gegenbauer. Berliner Firmen könnten insbesondere vom starken Wachstum in Polen profitieren. „Der Markt ist da.“ Ein schneller Beitritt würde zu einer Win-win-Situation für beide Volkswirtschaften, allerdings nicht für jedes einzelne Unternehmen führen. Schon jetzt wachse der Berliner Außenhandel mit Polen sehr stark.

Hier sah jedoch der polnische Botschaftsrat Tomasz Kalinowski Nachholbedarf. So sei der Anteil der Berliner Exporte nach Polen im landesweiten Vergleich von neun Prozent im Jahre 1991 auf drei Prozent in 1999 gesunken. Ursache dafür ist die fortschreitende Deindustrialisierung Berlins. Die Region könne dennoch vom Kaufkraftzuwachs der polnischen Bürger profitieren, so Kalinowski. Aber: „Das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft.“ RICHARD ROTHER

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