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Vom Rhythmus-ICE überrollt

■ Emmanuel Pahud und Eric Le Sage beschließen die zweite Saison der Reihe aufstrebender „Solisten in der Musikhalle“

Es war eine transkontinentale Tour de force durch das 20. Jahrhundert, die von Aaron Copland hin zu Serge Prokofiev führte: Der französisch-schweizerische Flötist Emmanuel Pahud, der bis September 2000 Soloflötist der Berliner Philarmoniker war, und sein pianis-tischer Begleiter Erik Le Sage, der mit Interpretationen Schumannscher Klaviermusik hervorgetreten ist, bildeten beim Konzert in der Musikhalle eine ungleiche Duo-Formation. Während Le Sage zwar teils introvertiert, aber stets feinsinnig gestaltete, stand ihm in dem dominant aufspielenden Pahud ein ungleicher Partner gegenüber, der Assozoiationen an den Rattenfänger von Hameln aufflackern ließ.

Die nervös verwackelte Kantilene der Solo-Flöte zu Beginn des Duo for Flute and Piano von Aaron Copland vergab man Pahud noch. Unverzeihbar war aber seine Hyperventilation, die er über den Abend hinweg nur schwerlich in den Griff bekam. Durch übermäßiges Luftvolumen wirkte der Klang forciert, Sforzati gerieten gellend und unsauber.

Anstelle des Poem von Charles Tomlinson Griffes – der Verlag konnte das Notenmaterial nicht liefern – standen später die transkri-bierten, ursprünglich für Klavier und Harfe geschriebenen Six Epigraphes antiques von Claude Debussy. Pahud besann sich, setzte ein wenig gehetzte, doch elegante Phrasierungen, seine Läufe und Triller saßen pfeilscharf. Le Sage zauberte impressionistische Tontrauben, sein behutsamer Pedaleinsatz vermied Klang-Maische. Mal rätselhaft tastend, mal verspielt schweifend gelang es beiden Musikern, Klangfarben voller mythischer Assoziationen zu erschaffen.

In der Sonata for Flute and Piano des Pragers Erwin Schulhoff (1894-1942) hatten Pahud und Le Sage dann endlich zum Dialog gefunden: In die Synkopen-Kaskaden des Scherzos stiegen sie pointiert ein, der Melodiebogen der Aria wurde spannungsreich entfaltet.

Dann der Schock nach der Pause: Die Sonatine (1946) von Pierre Boulez, per se durch ihre wuchtige Dynamik eine psychedelische Höllenfahrt, ratterte Pahud mit schreienden Spitzentönen durch zum rhythmischen Overkill. In derSonate für Flöte und Klavier D-Dur op.94 von Serge Prokofiev balancierte Le Sage gekonnt zwischen lyrischem Melos und kraftvoller Rhythmik, ohne in barbarische Hämmermotorik abzudriften. Pahud allerdings trieb selbst im sangbaren Andante rastlos voran.

Die Folge: Im Finale konnte er auch das majestätische Kopfthema nicht mehr dynamisch steigern. Atemlos wurde nur noch auf Angriff gespielt. Schließlich: Luft holen. Frank Schönian

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