Der Puff als normaler Arbeitsplatz

Einstimmig beschließen SPD und Grüne das neue Prostituiertengesetz: Huren können künftig ihren Lohn einklagen und sich sozial- und krankenversichern. Förderung der Prostitution soll nicht mehr strafbar sein. Die CDU hält das für „sittenwidrig“

von HEIDE OESTREICH

Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ist noch leicht irritiert: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir unsere Betriebsprüfer in den Puff schicken“, amüsiert sich der Sprecher. Doch bald könnte es Ernst werden: Gestern stellten die Regierungsfraktionen offiziell den von ihnen beschlossenen Gesetzentwurf zur „Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten“ vor.

Danach ist der Handel zwischen Freier und Hure ein rechtswirksamer Vertrag, so dass Huren ihre finanziellen Forderungen vor Gericht einklagen können. Umgekehrt können Freier keine Leistungen einklagen, denn der Vertrag wird, so der Gesetzestext, erst nach der Leistung der Hure gültig.

Auch die mit Bordellbetreibern abgeschlossenen Verträge werden zum Teil einklagbar: ArbeitgeberInnen können Prostituierte anstellen, sie aber nicht wegen der Verweigerung bestimmter Leistungen verklagen; lediglich Ort und Zeitraum der Arbeit dürfen bestimmt werden. Zudem wird eine Ziffer des Strafrechtsparagrafen 180a gestrichen, in dem die Förderung der Prostitution verboten wird. Dies hatte bis jetzt dazu geführt, dass alles, was die Arbeitssituation der Huren angenehmer machte, nicht gestattet war: Kondome auslegen, einen Sicherheitsdienst beschäftigen oder ein angenehmes Ambiente herstellen.

Passiert das Gesetz den Bundestag – am Freitag wird die erste Lesung stattfinden – so könnte es also durchaus sein, dass die BfA-Betriebsprüfer in den Puff müssen: Etwa die Hälfte der geschätzten 400.000 Prostituierten in Deutschland arbeiten in Bordellen, sie alle sind potenzielle Scheinselbstständige, wenn sie nicht versicherungspflichtig angestellt werden.

Einstimmig sei der Entwurf in beiden Fraktionen beschlossen worden, betonten die SPD-Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier und die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk, gestern. Gerne hätte man auch noch die Sperrgebietsverordnung gekippt, doch im Gegensatz zu dem nun vorliegenden Gesetzentwurf hätte der Bundesrat dem zustimmen müssen, „und das hätte das Gesetz wahrscheinlich sehr verzögert“, sagte Schewe-Gerigk.

Prostitution werde von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr als sittenwidrig angesehen, erklärten die beiden Abgeordneten und verwiesen auf Umfragen, bei denen 70 Prozent der Befragten angaben, dass Prostitution rechtlich anerkannt werden solle.

Nicht so allerdings die CDU: Deren rechtspolitischer Sprecher Norbert Geis findet Prostitution durchaus sittenwidrig: „Und wenn so ein Gesetz kommt, dann ist eben das Gesetz sittenwidrig“, erklärte er der taz. Der intimste Vorgang zwischen zwei Menschen könne nicht wie eine Ware feilgeboten werden, meint Geis. Bundesfrauenministerin Bergmann solle lieber Ausstiegsprogramme für Prostituierte organisieren.

Ob Prostitution nun als sittenwidrig gilt, hat im vorigen Jahr der Berliner Verwaltungsrichter Percy MacLean festzustellen versucht, der darüber zu befinden hatte, ob der Betrieb des Berliner Bordell-Cafés „Pssst“ gegen die Sitten verstoße oder nicht. Das Verwaltungsgericht hatte bei 50 Verbänden, von Kirchen bis zu Gewerkschaften, herumgefragt, Umfragen und Presseberichte herangezogen – und konnte keine Sittenwidrigkeit erkennen. Denn was gegen die Sitten verstoße, so der Richter, könne man nicht normativ aus dem Moralgefühl begründen, sondern müsse empirisch herausgefunden werden. Mit moralischem Bauchschmerz stimmten denn auch viele Verbände zu, dass es den Sitten auf keinen Fall bekomme, wenn Prostituierte weiterhin rechtlos ausgebeutet werden dürften.

Auch die Ethikexpertin der SPD, Margot von Renesse, macht diesen feinen Unterschied: Auch mit dem Gesetzentwurf, so betont sie, sei Prostitution „kein Gegenstand des normalen Verkehrsgeschäfts“. Würde Prostitution ein normaler Beruf, so hätte das absurde Konsequenzen: „Dann könnte ein Familienrichter nach einer Scheidung verfügen, dass die Frau keinen Unterhalt braucht, weil sie ja auf den Strich gehen kann.“