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Der Innensenator als Oberlehrer

CDU-Mann Werthebach hat nicht nur alles richtig gemacht am 1. Mai, sondern jetzt auch noch den Kampf gegen die „sich wandelnde Welt“ eingeläutet. Er beklagt einen allgemeinen Autoritätsverlust und will keine Kritik hören

Er ist mittendrin im Kampf gegen Gewalt, Terroristen, die gesellschaftlichen Entwicklungen der westlichen Industrieländer, gegen Autoritätsverlust und Orientierungslosigkeit – und gegen Fremdwörter sowieso: Innensenator Eckart Werthebach (CDU).

Und er kämpft an allen Fronten: Nächste Woche will er den Bundestag von einer Verschärfung des Versammlungsrechtes überzeugen, gestern stand er in einer aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses seinen Mann. Thema: Die Bilanz des 1. Mai oder – wie Grüne und PDS es formulierten – das „Desaster“ von Werthebachs Polizeistrategie.

Sein Anzug dunkel, sein Hemd rosa, seine Krawatte farblich kaum davon zu unterscheiden, sein Haar weiß, seine Stimme laut, seine Miene ernst und sein Zeigefinger belehrend in die Höhe gerichtet, verteidigte der Innensenator den diesjährigen Polizeieinsatz. Seine Feinde heißen nicht nur Wolfgang Wieland (Grüne) oder Steffen Zillich (PDS) und sind Oppositionsvertreter, sein Feind ist die „sich wandelnde Welt“, wie er sagt: Schule und Kirche hätten keine Autorität mehr, die Erfahrungen älterer Menschen versänken in „Bedeutungslosigkeit“.

Die Moderne ist schlimm, scheint die Botschaft des 61-Jährigen zu sein: „Schwierige soziale Verhältnisse, Jugendarbeitslosigkeit, mangelnde Perspektiven und ein gestörtes Selbstwertgefühl“ bei jungen Menschen führten zu einer Welt, in der gelte: „Gewalt statt Sprache, Steine statt Worte.“ Werthebach, der Senator und Bürgermeister, er ist zu einer Art Lehrer geworden. Freilich eher ein Oberlehrer, einer der alten Schule. Einer, der umso lauter spricht, je mehr er sich im Recht glaubt. Einer, der von Fremdwörtern nichts hält. „Der Begriff Desaster heißt zu Deutsch Unheil“, belehrt er die Oppositionspolitiker. Und: „Hören Sie mir doch mal zu.“

Werthebach selbst kann das zwar nicht: Als Wieland ihm vorwirft, ein „geistiger Brandstifter“ zu sein, und Hans-Georg Lorenz vom Koalitionspartner SPD das Demoverbot eine „falsche Entscheidung“ nennt, verzieht er keine Miene. Immer wieder blättert er stattdessen in seinem Manuskript, ordnet die Seiten penibel vor sich auf der Senatorenbank. Ein Oberlehrer lässt seine Autorität schließlich nicht in Frage stellen. DHE

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