: Anzeigen statt Anspruch
Auch elf Jahre nach der Vereinigung haben überregionale Tageszeitungen in Ostdeutschland keinen Erfolg. Die großen Blätter investieren lieber in westdeutsche Regionalteile
aus Leipzig RALF GEISSLER
Eines wollte Hans-Jürgen Hippler gleich am Anfang klarstellen: Zu dumm für FAZ, Süddeutsche und taz seien die Ostdeutschen nicht. „Warum die überregionalen Qualitätszeitungen im Osten keinen Erfolg haben, hat andere Gründe“, sagte der Medienforscher in Diensten der Zeitungs-Marketing-Gesellschaft beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland am Mittwoch in Leipzig.
„Die geringen Auflagen haben demografische Ursachen“, befand Hippler. Drei Tage diskutierte die Branche über neue Märkte – und fragte sich auch, warum nur 2,7 Prozent im Osten Überregionales lesen. „Leser überregionaler Zeitungen haben in der Regel ein hohes Einkommen.“ Und Einkommensstarke seien in den neuen Ländern nun mal selten. Doch die schlichte Schlussfolgerung, die Menschen könnten sich die Überregionalen nicht leisten, greift zu kurz. „Der zentrale Schwachpunkt sind die Anzeigenmärkte“, gestand Welt-Chefredakteur Wolfram Weimer. – Wer wenig verdient, um den wird auch wenig geworben.
Als Folge lohnt es sich für die Verlage nicht, ihr ostdeutsches Korrespondentennetz auszubauen, geschweige denn in Lokales zu investieren, was wiederum zu Klagen vieler Ostdeutscher führt, sie fänden sich in der Berichterstattung nicht wieder.
So weit wollte Gernot Sittner, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, nicht gehen: „Themen, die für Ostdeutsche besonders folgenreich sind, wie die EU-Osterweiterung, sind doch bei uns vertreten. Dazu bedarf es auch keiner besonderen Ostsicht.“ Und Hans-Helmut Kohl von der Frankfurter Rundschau legte nach: „Es wäre ein fataler Fehler, wenn Überregionale in Sprache und Anmutung versuchten, ostdeutscher zu werden. Denn dann verlieren sie bei ihren anderen Lesern an Glaubwürdigkeit.“ Beide Zeitungen bringen es im Osten außerhalb ihrer Berliner Hauptstadtbüros noch nicht einmal auf je zwei fest angestellte Korrespondenten. Auch die taz, 1990 als erste Überregionale sogar mit einer eigenständigen Ost-Ausgabe gestartet, ist nur noch mit einem Korrespondenten in den neuen Ländern vertreten. Ändern, da waren sich Kohl und Sittner einig, werde sich an der Situation in den kommenden drei Jahren wohl nichts.
Von monopolistischer Einfalt im Osten wollte Sittner allerdings nichts wissen. „Die ostdeutschen Regionalblätter sind doch gar nicht schlecht.“ Und Medienforscher Hippler schlussfolgerte prompt, dass eine Überregionale im Osten nur Chancen habe, wenn sie aus einer dortigen Regionalzeitung erwächst.
Martin Süskind, Chefredakteur der Berliner Zeitung, der sein Blatt „eine politische Qualitätszeitung mit überregionalem Anspruch“ nennt, will aber nicht ausbauen. „Die Lokalzeitungen in den neuen Bundesländern sind viel zu stark. Jeder Versuch, von außen in die Märkte einzudringen, muss scheitern.“ Zudem ist Süskinds Verlag – die Bertelsmanntochter Gruner + Jahr – in Dresden auch an der Sächsischen Zeitung beteiligt. „Da haben wir kein Interesse, uns selbst Konkurrenz zu machen.“ Den größten Teil seiner Energie stecke er, Süßkind, daher weiter in den Wettkampf mit dem Tagesspiegel – um die Hauptstadt. Denn für den überregionalen Anspruch brauche man nicht zwingend hohe überregionale Auflagen: „Es ist auch eine Frage des Images und welche Debatten sie mit ihrem Blatt anstoßen“, so Süskind zur taz.
Was er nicht sagt: Für einen Ausbau hätte er auch gar kein Geld. Der Wettbewerb mit dem Tagesspiegel kommt den Verlag teuer. In Berlin ist unter der Hand schon wieder von Rückzug und Personaleinsparungen die Rede. Zwar erscheint die anspruchsvolle Wissenschaftsbeilage künftig als tägliche Seite. „Damit steigt die Qualität, denn sie können tagesaktuell berichten“, verteidigt sich Süskind. Allerdings muss der Wissenschaft die Multimedia-Seite weichen und wird mit dem Medienteil zusammengelegt. Gerüchte, im Zuge von Umstrukturierungen im Mutterhaus Bertelsmann sei sogar ein Verkauf der Berliner Zeitung an den WAZ-Konzern nicht ausgeschlossen, dementierte Süskind.
Die Süddeutsche investiert derweil statt in ostdeutsche Korrespondenten lieber in westdeutsche Lokalteile – die Welt will möglichgerweise folgen, die taz-NRW ist schon seit Mai 2000 alldonnerstäglich Realität. „Ab Oktober machen wir eine Beilage für Nordrhein-Westfalen“, kündigte Sittner an. 30.000 Mal verkaufe sich die SZ dort täglich. Nun wolle man weiteres Potenzial abschöpfen. Seit Februar gibt es – zum Ärger der Süddeutschen – einen täglichen Bayern-Regionalteil in der Welt. „Im Anzeigengeschäft ist Bayern nun mal besser als der Osten“, sagt Welt-Chef Weimer.
Und hier brachte die Wissenschaft, sonst mit Kritik eher zurückhaltend, dann doch noch einmal auf den Punkt, warum der Osten die Überregionalen eigentlich nicht interessiert. „Früher“, so Hippler, hatten die Verlage zuerst einen publizistischen Anspruch. Jetzt sitzen da immer öfter Leute, die nur noch fragen: Was bringt uns das ein?“
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