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Duisenberg hört die Signale

Monatelang stellte sich die Europäische Zentralbank trotz abflauender Konjunktur taub. Gestern dann senkte sie zur allgemeinen Überraschung die Zinsen. Deutscher Industrie- und Handelstag übt Kritik

FRANKFURT/BERLIN rtr/taz ■ Die Europäische Zentralbank (EZB) hat gestern die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte gesenkt. Damit liegt der entscheidende Leitzins nun bei 4,5 Prozent. Seit Wochen hatten Ökonomen und Politiker diesen Schritt erwartet und zum Teil vehement gefordert. Gestern allerdings kam die Nachricht völlig überraschend. Fast einhellig hatten die Börsenhändler noch am Mittwoch gesagt, sie erwarteten bei der EZB-Ratsitzung am Donnerstag keine Zinssenkung.

EZB-Präsident Wim Duisenberg begründete die Entscheidung gestern in Frankfurt mit dem nachlassenden Inflationsrisiko. Die Aussichten hätten sich verbessert, dass die Inflationsrate bis 2002 unter zwei Prozent sinken könnte. Das sei der Mäßigung bei den Lohn- und Gehaltsrunden zu verdanken, die trotz der gestiegenen Ölpreise beibehalten wurde. Im Laufe des Jahres, hofft Duisenberg, sollten auch die Auswirkungen des Ölpreisschocks auf die Inflation geringer werden.

Finanzexperten reagierten verblüfft. Carsten-Patrick Meier vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel sagte, möglicherweise habe die EZB mit diesem Schritt ihre Unabhängigkeit demonstrieren wollen. Sonia Hellemann, Devisenhändlerin bei Dresdner Kleinwort Wassertstein, wertet die Zinssenkung als Reaktion auf die abgekühlte Konjunktur: „Sie war definitiv eine Überraschung und zeigt, dass die EZB mehr in Bezug auf das Wachstum tut als erwartet.“ Der Deutsche Industrie- und Handelstag hingegen kritisierte die Entscheidung als „übereilten Vorschuss“ auf einen schwächeren Preisauftrieb.

Die Aktien reagierten mit einem kräftigen Plus: Der Deutsche Aktienindex Dax schob sich um mehr als 2 Prozent auf 6.191 Punkte nach vorne. Der Index für den Neuen Markt, Nemax 50, stieg bis zum frühen Abend um gut eineinhalb Prozent auf 1.844 Punkte. Der Euro stieg dagegen nur leicht an. KK

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