: Polonäse auf dem Oberrang
So eine Niederlage, so wunderschön wie heute: Nach dem 1:4 im WM-Viertelfinale gegen Finnland redet Vokalvulkan Hans Zach das deutsche Eishockey in seiner Alpenpredigt noch schöner, als es war
aus Köln BERND MÜLLENDER
Gestern, gut zwölf Stunden nach dem WM-Aus durch das 1:4 im Viertelfinale gegen Finnland, saß Dennis Seidenberg, die 18-jährige Entdeckung dieser Weltmeisterschaft aus Mannheim, schon wieder in seiner Schulklasse. Abiturarbeit über Galileo Galilei. Mögliches Thema: Ist die Erde doch ein Puck?
Die Deutschen brauchen solche Umwege, um sich dem Scheiben-Sport zu nähern. Die Finnen haben es herkunftsbedingt deutlich leichter: Im Sommer drischt ein ganzes Volk mit Schlägern und ähnlichem Instrumentarium auf Myriaden von Mücken ein, kann sich mit diesem Mückenhockey fit halten und die talentiertesten Kräfte im Winter zu Sichtungslehrgängen im Eishockey schicken.
Solche Relationen muss sich vor Augen führen, wer in Köln den finalen Hans Zach erleben durfte. Viel fehlte nicht, und es hätte Bumm gemacht. Wenn der deutsche Cheftrainer nämlich doch noch geplatzt wäre. Geplatzt vor Stolz. Vor Stolz über diese Mannschaft, diese jungen Burschen mit dem tollen Charakter, über sich, über dieses irre kölsche Publikum und überhaupt über NDE, das Neue Deutsche Eishockey. Mehrfach sagte der Bundespuckmeister: „Ich bin einfach stolz“, und guckte dabei so grimm relaxt, wie sich ein Crosscheck anfühlt.
Kaum war die deutsche Eiszeit beendet, hielt Hans Zach, der Tölzer Metzgermeister, Bademeister, Masseur und Diplomtrainer, eine flammende Rede an die Nation: Diese Mannschaft sei „unvergesslich für Deutschland“, man habe „den Frust aus sieben Jahren in zwölf Tagen rausgelebt“. Alle hätten „Einsatz und Kampfgeist gezeigt, wie es einem Sportler gebührt“. In dieser „tollen Sportart“, was er passend „Sporthart“ ausspricht.
Vokalvulkan Zach redete ohne Pause. Er war Rechenmeister: „Nur 2,5 Gegentore pro Spiel, sensationell.“ Er war Historiker: „Wir haben etwas gezeigt, was noch nie eine deutsche Nationalmannschaft bei einer WM gezeigt hat.“ Vor allem Prediger. Als Alpen-Egidius referierte er über die deutsche Eishockey-Leitkultur: „Wir wussten, auch Gedemütigte werden wieder Freude haben.“ Und siehe: Bei dieser WM seien die Deutschen „nicht ein einziges Mal gedemütigt oder beherrscht worden.“
Die Zahlen sind nüchterner: Sieben Spiele; davon ein Sieg im ersten Spiel gegen die Schweiz, dann zwei Remis, vier Niederlagen. Geschossene Tore: Zwölf in sieben Spielen. Das liest sich in der Statistik mäßig, liegt aber im defensiven Zeitgeist und ist weit besser, als der Berufsschlechtredner Zach vorher so taktisch schlau befürchten ließ („dieses Gequake vom Viertelfinale“).
Titelanwärter Suomi hatte die deutschen Leidenschaftler, kaum gefährdet, mit deren Mitteln bekämpft: Hart, kampfeslustig, defensiv, läuferisch überragend, kälter als jedes Eis. Der Unterschied: Finnlands sensationell gutes Überzahlspiel und entscheidende spektakuläre Konter. Trainer Hannu Aravirta wusste: „Wenn wir genauso fighten wie die Deutschen, dann gewinnen wir auch, weil wir die bisschen besseren Spieler haben.“ Dass der kleine schwarze Kobold auch anders behandelt werden kann, zeigte das hinreißende zweite Kölner Viertelfinale: Die wuchtigen Kombinierer aus Schweden besiegten dabei die filigran-flinken Puckstreichler aus Russland im Sudden Death glücklich mit 4:3 und spielen heute gegen Tschechien um den Finaleinzug. Finnland bekommt es mit den USA zu tun, die sensationell Kanada rauswarfen.
Ob Deutsche jemals so Eishockey spielen wie Russen und Schweden? Hans Zach will jetzt nachhaltige Nachwuchskonzepte einfordern, dabei „keinen Millimeter nachgeben“, er erwartet von den deutschen Ligabesitzern „Respekt zurück“. Nur wenn alle „gemeinsam, sauber und ehrlich zusammenarbeiten“, dann werde „die Gerechtigkeit siegen“. Pucklegende Erich Kühnhackl hatte vor 14 Tagen noch das Ende herbeiorakelt, weil in der DEL fast nur Ausländer die Show geben: „Alle Entscheidungen in den letzten Jahren fielen fürs Eishockey in Deutschland, aber nicht fürs deutsche Eishockey.“
Am wenigsten störte das Aus die dauerlauten Fans. „So ein Tag, so wunderschön wie heute“, hatten sie nach dem 0:4 im Schlussdrittel gesungen – ohne jede Ironie, getragen allein von der schieren Freude, so lange tragende Säule der Gesamtinszenierung Eishockey-WM 2001 gewesen zu sein. Und ein paar Dutzend Jubler, Deutsche und Finnen, hatten sich aufgemacht zur gemeinschaftlich gejoggten Polonäse auf dem Oberrang, bis sich ihnen humorlose Security-Kräfte in den Weg stellten. „Ordner raus“ skandierte das Stadion. Als dann das Ehrentor fiel, wurde es gefeiert wie der WM-Titel. Torschütze Tobias Abstreiter sagte später, „so ein Glückstor hätten wir früher gebraucht, dann . . . , vielleicht . . . “
Und Hans Zach? Der wollte „jedem Spieler einzeln die Hand geben und danke schön sagen“. Dann will er Urlaub machen, Angelurlaub. Wo? „Am schönsten ist es in Bad Tölz.“ Als Köder bieten sich finnische Mücken-Schaschliks an. Oder gehen Hechte auch auf deutsche Pucks? Petri Heil.
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