: Rosinen im Einheitsbrei
Künstlerisch wertvoll, gleichzeitig hip: Die Kurzfilmtage Oberhausen setzen auf den Glamour von Musikvideos, MTV zeigt die Preisträger des Festivals – eine rein strategische Annäherung der Welten
von ANDREAS HARTMANN
Die Auswahl der für den deutschen Musikvideopreis in Oberhausen ausgesuchten Arbeiten, sie war wieder einmal alles andere als typisch für den Einheitsbrei, der bei VivaMTV auf Dauerrotation läuft: Da gab es experimentelles Bildergeflacker (Sebastian Kutschers Clip für „Do Dekor“ von Jan Jelinek). Besinnlich-esoterische Fantasy-Sequenzen (Anja Struck und Lars Henkels Video für „Die 15. Art den Regen zu beschreiben“ der Gruppe Runde 1). Und ein reiner Spaßclip der Musiker Gonzales und Mocky, in dem Gonzales den Superentertainer im Altenheim gibt und gemeinsam mit alten Damen „The Worst MC“ mimt. Kurz: Gerade die deutschen Beiträge standen ihrer Ästhetik eher den anderen Kurzfilmchen nahe, die sonst so bei den 47. Internationalen Kurzfilmtagen zu besichtigen waren.
Der Musikvideopreis übernahm in diesem Jahr in Oberhausen wieder einmal mehr die Rolle des Prestigemagnets, der für den nötigen popkulturellen Glanz des Festivals sorgen sollte. Denn der Kurzfilm an sich hat zunehmend mit seiner öffentlichen Wahrnehmung zu kämpfen. Einerseits ist er das beliebteste Format für Filmhochschüler, Experimentalfilmer und Hobbykurbler. Andererseits findet er in Kino, Fernsehen und Filmförderung kaum mehr Beachtung.
Lediglich eine rezeptionelle Aufwertung von Werbeclips und Musikvideos, auch durch Regisseure wie Wim Wenders oder Spike Jonze, lässt sich ausmachen.
Kurzfilmtage-Leiter Lars Henrik Gass weiß jedoch, wie er sein Festival als weltweit größten und renommiertesten Repräsentanten des Mediums Kurzfilm, als künstlerisch wertvoll und gleichzeitig hip verkaufen kann, und wie man sich für die Vermittlung dieser Botschaft die richtigen Partner mit ins Boot holt. So erklärten sich dieses Jahr nicht nur Arte und 3sat bereit, Kurzfilme aus dem aktuellen Oberhausener Programm senden, sondern auch MTV. Um dem Kurzfilm ein, wie es dort heißt, „neues und zeitgemäßes Publikum“ zu erschließen.
Doch nicht nur Kurzfilme möchte MTV senden, sondern auch sämtliche MuVi-Preis-Kandidaten. Was überraschend ist. Denn während MTV in der letzten Zeit sich verstärkt darum bemüht, durch Manga-Serials, Schlingensiefs U- Bahn-Show oder den Knettrash „Celebrity Death Match“ dem Sender das Segment adult entertainment zu erschließen, ist so etwas wie Clipkultur bei MTV nie wirklich angekommen. Das einzige Format für abseitigere Clips, das sich hartnäckig auf MTV hält, ist „Berlin House“. Wegen diesem, aber vor allem wegen den Möglichkeiten, die Viva 2 bietet – zumindest solange es den Sender noch gibt –, hat sich jemand wie Rosa Barba überhaupt daran gemacht, einen kongenial sperrigen Clip voller surreal anmutender Bilderwelten für Microstorias Geräuschelektronik-Track „Kontra“ zu drehen, der in Oberhausen den dritten Platz belegte.
Den Musikclip jenseits seines Stellenwerts als Promotionvehikel zu würdigen, ist inzwischen nichts Neues mehr. Darum ging es zuletzt in „Clipcult“, einer Musikvideo-Compilation für das Kino, und in „Fantastic Voyages“, einer kulturwissenschaftlichen Reihe über Musikvideos auf 3sat. Zu der Beurteilung von Clips außerhalb ihres etablierten Rezeptionsrahmens wurde in Oberhausen der Jury jedoch zudem angetragen, vor allem die visuellen Aspekte der Clips zu würdigen. Was in der Praxis wohl kaum ausgeführt wurde, da der Musikclip einfach eine eigene Kategorie darstellt und die gegenseitige Umarmung visueller und akustischer Aspekte eigens beurteilt gehört.
Ziemlich auffällig aber erschien in Oberhausen die Diskrepanz zwischen den in einem extra Block gezeigten internationalen und den deutschen Clip-Produktionen. Während sich Robbie Williams, Blur oder Richard Ashcroft teure und gleichzeitig innovative Clips leisten, wurde im deutschen Clipwettbewerb eher auf experimentelle Bildersprache gesetzt. Nach dem Motto: Mehr Fantasie durch No Budget. Das führte zu Clips wie dem von Sebastian Kutscher, der Bilder aus einem Film von John Cassavetes zu den Minimal-Elektronik-Klängen von Jan Jelineks „Do Dekor“ zur völligen Unkenntlichkeit verfremdete. Damit wurde er Jelineks Arbeitsweise gerecht, die in ählicher Weise auf der Transformierung von musikalischem Ausgangsmaterial beruht. Für diese Leistung gab es den zweiten Platz.
Ähnliche Knaller, wie sie in der internationalen Staffel gezeigt wurden, vermisste man jedoch im deutschen MuVi-Wettbewerb. Pop-Kleinode wie Geoffroy de Crécys vollanimierten Anti-Burger-Clip zu Etienne de Crécys „Am I Wrong“, in dem in lustiger Weise der Horror der Fastfood-Industrie überzeichnet wird, oder Jonathan Glazers brillanten Suspense-Clip, in dem Richard Ashcroft seinen eigenen „A Song For The Lovers“ mit der Fernbedienung unterbricht, suchte man im Deutschen MuVi-Preis vergebens.
Georg Graws und Urula Böcklers mit dem ersten Platz und 5.000 Mark Preisgeld prämierte Regiearbeit, die ihre Bilder voller Lust auf das Reisen mit Donna Reginas Frage nach den Sinn des Reisens in „Why“ kontrastierten, machte dennoch deutlich, wie man mit geringen Selbstkosten die Aussagekraft von Text und Musik nicht bloß umsetzen, sondern entgrenzen kann. Ein sympathischer Gute-Laune-Clip ist ihnen da gelungen, und das ganz ohne experimentelle Bemühtheit. Auf Rotation wird er bei MTV aber wohl dennoch nicht gesetzt werden.
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