: Geschichten vom Ich
„get that balance“, Teil 2: Junge Künstlerinnen zeigen auf Kampnagel Arbeiten zu biografischen Geschichten ■ Von Christian T. Schön
„She works hard for her money!“ Diesmal tönt einem Donna Summer am Eingang zur Ausstellung get that balance auf Kampnagel entgegen. Sofort ist klar: Wir genießen das Leben; über „Ordnungen und Verlus-te“ (Titel Teil 1) sehen wir hinweg. Die Ausstellungsmacherinnen hatten sich im Vorfeld einen Dialog zwischen den beiden Ausstellungsteilen gewünscht. Und wo zuvor Petty Chang schlürfend grüßte (vgl. taz vom 25.4.) schallt jetzt dieses trashige Pop-Video „Peute“ (2001) von Rabea Eipperle. Beide könnten sinnbildlich für die Thematik des jeweiligen Teiles stehen.
Im zweiten Ausstellungsblock geht es um Biographien, Sehnsüchte, Wünsche und Konflikte, kurz: „Fakten und Fiktionen“. Auf diese Weise ist das, was an Kunst vielleicht am schönsten ist, entstanden: eine Art Geschichtenmuseum auf Zeit – deren Geschichten man allerdings viel zu oft erraten muss.
Da Biografien immer auch Rekonstruktion eigener Freiheit und Selbstverwirklichung sind, beginnen an dieser Stelle die Werke der beiden Ausstellungsteile zu korres-pondieren. Und wie kein anderes Medium ist Video für dieses Aufspüren von Selbst- und Fremdbildern geeignet.
In ihrer dreiteiligen Videoinstallation „Von vor meiner Zeit“ (2001) inszeniert Eske Schlüters die überlieferten Mythen ihrer Kindheit: wie sie in einem Schließfach entstanden sein soll, wie ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter über die Schwangerschaft mit einem Blick ins abweisende Stillschweigen verbannt wird, und wie die Künstlerin als kleines Mädchen auf einem Marienkäfer-Auto durch den Schuhladen der Großmutter fährt. Minimale Variationen in den Filmen verweisen auf die vage Genauigkeit von „oral history“.
Statt der eigenen hat sich Nina Budde 1998 fremder Biografien bedient. Per Bestellung konnten diese Fremden bei ihr Wunschvideos in Auftrag geben, aus denen Budde dann kleine, vollkommen überdrehte, lebensfrohe Kurzvideos zauberte: „Für Ronny“ (Auftrag: „ein Musikvideo, no plastic pop“) könnte genausogut ein Fat-Boy-Slim-Video sein. Und für „Wechselbeziehung zwischen Kicken und Kultur“ stellt sie ihr Lieblingsspiel Kolumbien-England im Viertelfinale der Fußball-WM '98 nach.
Irgendwann fällt jedoch auf, wie allein diese Menschen mit ihren Biografien und Geschichten sind. Corinna Schnitt zeigt Menschen auf verlorenen, aber städtebaulich installierten Posten („Freizeit“). Rabea Eipperles soziales Porträt einer fiktiven Nicole aus Eschwege („Entsprechend vergnügt“) bringt uns erst eine Unbekannte näher, aber schließlich verschwindet sie doch hinter ihren einsamen Posen: Immer ist sie allein auf den großen Fotos zu sehen. Beim Verschwinden übertrifft sie nur noch Ann Lislegaards leicht zu übersehende Licht- und Sound-Installation (2001), die man in Anlehnung an eine ähnliche Arbeit von Samuel Beckett, Meister des Verschwindens, „Atem“ nennen könnte.
„Isoliert, dissident, allein und unglücklich bin ich eh, wie jeder andere auch, selber, ununterbrochen, jeden Tag“ (Rainald Goetz, Celebration). Meint Einsamkeit hier noch Individualität? Ist dies wirklich das Lebensgefühl der 90er? – Dem gegenüber stehen Massenevents wie die Loveparade. Rainald Goetz: „Jeder ist eh schon so in sich ruhend Individuum, so sehr anders als alle andern, dass es sich nicht primär danach sehnt, sich zu unterscheiden von allen, sondern umgekehrt: mit ihnen eins zu sein.“
Das Soziale ästelt sich höchstens als kleines, zartes Pflänzchen in Form einer anrührenden SMS-Liebesgeschichte (Zilla Leutenegger) in die Ausstellung. Oder wie in Kris-tin Lucas' Splitt-Screen „Involuntary Reception“ (2000) als elektromagnetisch-menschliche Koexis-tenz, die den Menschen wenigstens noch in Computer-Crashs begegnet, sich aber später, als der Bildschirm zu flackern beginnt, auch selbst verzehrt.
bis 26. Mai, Kampnagel. Di–Do 18–20 Uhr, Fr–So 16–20 Uhr; kommenden Freitag findet in der Ausstellung ein jour fixe zum Thema „Biografie“ statt. weitere Termine: www.getthatbalance.de ;Katalog für den Herbst geplant
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