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Zeitung ist kein Duschgel

Größere Schrift, kleinerer Inhalt: Auf der Designmesse „Typo 2001“ in Berlin wird viel darüber geplaudert, dass in den Zeitungen weniger geplaudert und das Lesetempo gesteigert wird

von RALPH LENGLER

Gibt es auch beim Grafikdesign, bei Schriftarten und Layouts Trends? Zumindest gibt es eine Messe, die versucht, das herauszufinden: Bei der Typo 2001 trafen sich am letzten Wochenende in Berlin die weltweit führendsten Werber, Grafikdesigner und Schriftengestalter, um über ihre Arbeit zu konferieren.

Und so konnte man von Gerard Unger, einem der wichtigsten niederländischen Schrift- und Zeitungsdesigner, zum Beispiel erfahren, wie die kommenden Trends im Zeitungsdesign aussehen oder auch nicht: „Es gibt keine Trends“, erklärte Unger. „Ich designe den Look von Zeitungen, nicht von Duschgels. Lesen ist ein intimes Erlebnis. Es gibt wenige Produkte, welchen man täglich 20 Minuten vollständige Aufmerksamkeit schenkt. Denken Sie mal nach, wie ist der Name ihres Duschmittels? Sie werden sich höchstwahrscheinlich nicht daran erinnern, obwohl sie es täglich gebrauchen.“ An einige Artikel, so erzählte der Schriftgestalter, der auf der Veranstaltung einen Vortrag mit dem schönen Namen „Schrift und Alkohol“ gab, weiter, könne man sich aber in jedem Fall erinnern. Duschgel sei einfach nicht wichtig in unserem täglichen Leben, und deshalb gebe es Trends für Duschgels. Mit einem verschwörerischen Lächeln vermutete der Fachmann: „Ihr Journalisten fragt, denn ihr habt einfach Angst. Ihr wisst nämlich nicht, wie ihr mit dem Internet umgehen sollt.“

Unger ist Holländer. Und durch und durch Funktionalist. Solange man Reizwörter wie „Trends“ und „Entwicklungen“ vermeidet in den Mund zu nehmen, redet er auch bereitwillig davon. Für einen Funktionalisten gibt es insofern keine Trends, weil ein gutes Design die Funktion eines Produkts hervorheben und nicht reine Kosmetik sein sollte. Denn wenn das Design einer Zeitung zu oft verändert wird, verliert sie an Glaubwürdigkeit und damit Leser. Einen Relaunch braucht eine Zeitung nur dann, wenn sich dessen Umfeld verändert hat. Dazu gehören Veränderungen der Lesegewohnheiten oder der Produktionsvoraussetzungen. Nach Unger ist in den letzten fünfzig Jahren die Schriftgröße um 25 Prozent angestiegen, obwohl die Artikel von der Fläche her immer noch gleich viel Platz beanspruchen. Das heißt, dass zusammen mit den immer häufiger werdenden Zitatkästen die Artikel über 50 Prozent kürzer wurden.

Doch der Informationsgehalt der Artikels sei gleich geblieben: „Die Artikel sind kompakter, essentieller geworden. Es wird viel weniger geplaudert“, so Unger. Diese Entwicklung geht in seinen Augen vor allem auf das Aufkommen des Fernsehens zurück. „Die Zeitungen haben vor allem diejenigen Leser ans Fernsehen verloren, die früher nur gelegentlich lasen.“ Der heutige Zeitungsleser lese viel, schnell und selektiv. Zeitungen sind vermehrt zu sekundären Informationsquellen geworden, um Informationen, auf welche man durch andere Quellen wie Fernsehen oder Internet aufmerksam gemacht wurde, zu verifizieren.

Früher wurde eine ganze Seite durchgelesen, der heutige Zeitungsleser scannt eine, wenn nicht sogar mehrere Zeitungen nach Informationen durch. Eine Möglichkeit diesem veränderten Leseverhalten Rechnung zu tragen besteht darin, vermehrt Zitatkästen in die Zeitung zu integrieren. Außerdem wurden sowohl Papier, Satz als auch die Druckmaschinen gleichermaßen besser, und durch das elektronische Publizieren wurde mehr gestalterischer Freiraum geschaffen. Durch diese Verbesserungen können vermehrt Farbfotos und Infografiken eingesetzt werden.

Auch sei es immer wichtiger geworden, den inhaltlichen Charakter einer Zeitung durch ein geeignetes Layout hervorzuheben. Beispielsweise durch eine eigene Hausschrift, welche auf eine subtile Weise den Charakter einer Zeitung zu pointieren und zu individualisieren vermag. Durch den besseren Satz und Druck ist es auch möglich geworden, detaillierter zu drucken. Der größere typografische Detailreichtum lässt mehr Atmosphäre entstehen und, last but not least, erhöht deren Lesbarkeit. Heutige „Zeitungsschriften“ seien „10 bis 20 Prozent“ lesbarer als noch vor fünfzig Jahren, so Unger. Mit einer höheren Lesbarkeit könne man erwarten, dass die Zeitungen die Schriftgröße um diesen Prozentsatz verkleinern würden. Stattdessen wurde der Zugewinn an Lesbarkeit zusammen mit der Schriftvergrößerung für eine weitere Steigerung des Lesetempos verwendet.

Durch den Gebrauch von Fotos, Grafiken und Kästen im Rahmen eines offeneren Layouts soll der Leser zum Lesen verführt werden: der Artikel als Bonbon in einer Bonbonschachtel. Und trotzdem berücksichtigen, dass er dafür wenig Zeit hat. Eine Entwicklung also, die zur schnelllebigen Jetztzeit passt wie eine gute Unterzeile zur Überschrift.

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