: Warten im Fünfländereck
„Die Euroregion müsste für die Menschen da sein“, klagt ein Bürgermeister. Die Bürokratie steht dem Austausch im Wege
aus Halmeu und Sathmar KENO VERSECK
Manche Soldaten lassen ihre Beine von der Aussichtsplattform des Wachturmes baumeln. Andere stützen sich müde auf den Schlagbaum. Vor einigen Jahren, da reichte die Schlange der Lastwagen von der Grenze kilometerweit bis in die Gemeinde. Das ist vorbei. Es gibt fast nichts mehr zu tun an diesem Außenposten. Nur ein, zwei Mal in der Stunde kommt ein Lastwagen.
Rumänisch-ukrainischer Grenzübergang Halmeu, Länderdreieck Ungarn-Rumänien-Ukraine. Auf der rumänischen Seite sitzen die Chefs der Grenzpolizei und des Zolls am Kiosk, trinken Kaffee und sonnen sich. Die Apfelbäume blühen, Bienen summen. In der Nähe bestellen Bauern von Hand gemächlich ihre Felder. Ein Sattelschlepper brummt heran und bleibt neben dem Kiosk stehen. Der Fahrer steigt aus. „He, Chef, ich will rüber, Richtung Polen, bin leer.“ Der Chef der Grenzpolizei winkt desinteressiert. „Okay, dann geh mal ins Gebäude, die Papiere stempeln. Kannst gleich weiterfahren.“
Irgendwann klingelt das Telefon
Hier, auf der rumänischen Seite, hat der Mann kaum zehn Minuten zu tun. Dann fährt er weiter. Im Niemandsland hält er an, vor einem eisernen Tor, darüber steht: „Ukraine“. Links und rechts ein Stahlzaun. In einer Baracke sitzt ein Grenzsoldat. Er wird nun melden, dass ein Lastwagen vor dem Tor steht. Irgendwann wird sein Telefon klingeln. Sein Vorgesetzter wird ihm befehlen, das Tor zu öffnen. Niemand kann wissen, wie lange das Ritual dauern wird. Diesmal nimmt es eine halbe Stunde in Anspruch.
Halmeu ist einer der Knotenpunkte in der Karpaten-Theiß-Euroregion. Von der Freizügigkeit ist hier nichts zu spüren. Die Ukraine hat sich verbarrikadiert wie einst die Sowjetunion. Personenverkehr über die Grenze ist nicht gestattet, nur Warenverkehr, über die Schiene oder in Lkws. Den kleinen Grenzverkehr nutzen die meisten Einheimischen nicht – die Ukrainer sind zu bürokratisch. Nur der Schienenverkehr floriert. Jährlich fahren 50.000 Güterwaggons über die Grenze, die meisten davon mit Erdöl beladen.
Mihály Kis, der Zollchef des Grenzübergangs auf rumänischer Seite, spaziert langsam ans Niemandsland heran. „Die Speditionen schicken ihre Leute nicht gerne in die Ukraine. Wegen der Kriminalität auf den Straßen und wegen der vielen unbequemen Formalitäten“, sagt er. „Wenn ich mich mit meinem Kollegen von drüben treffen will, dauert das einen halben Tag. Ich geh lieber nicht, ich bin’s leid.“ Er zeigt auf einen Hügel ein paar Kilometer hinter der Grenze. „Da drüben hatten meine Eltern mal einen Hang mit Weinreben, bis nach dem Krieg. Bis die Grenze durch unser Dorf gezogen wurde.“
Die Gemeinde Halmeu, die dem Grenzübergang ihren Namen gibt, war bis 1939 ein wohlhabendes Handelsstädtchen an der Grenze zur Tschechoslowakei. Davon künden nur noch die Fassaden einiger Bürgerhäuser. Manche alten Bewohner haben hier im Laufe eines Jahrhunderts drei Grenzziehungen und fünf Staaten erlebt. Und den Niedergang des Städtchens zu einem größeren Dorf mit knapp 4.000 Einwohnern.
Der Bürgermeister, Alexandru Panea, freut sich über den Besuch. Über die Euroregion ist er enttäuscht: „Es wird zu viel über sie politisiert. Sie müsste mehr für die Menschen da sein.“ Die politischen Vertreter und Unternehmer aus dem nordwestrumänischen Kreis Sathmar (Satu Mare), in dem Halmeu liegt, sehen das ähnlich. Sie sagen ausnahmslos, dass die Euroregion die einzelnen Länder bisher weder stärker verbunden noch zur wirtschaftlichen Belebung beigetragen hat. „Diese Institution ist zu unübersichtlich“, sagt der stellvertretende Bürgermeister der Kreisstadt Sathmar, Gyula Ilyés. „Wir können ihre Möglichkeiten nicht richtig ausnutzen. Davon abgesehen, frage ich mich: Was ist ein großes, gemeinsames Projekt für diese große Region? Mir fällt keines ein.“
Der Krieger hat ausgedient
Gyula Ilyés hat ein kleines Büro in einem 50 Meter hohen Betonklotz im Zentrum von Sathmar. Hier konzentrierten sich einst die Machtinstitutionen der kommunistischen Diktatur. Heute residieren hier immer noch Bürgermeister, Stadt-, Kreisrat und andere Behörden zusammen. Der Klotz sollte einen Krieger symbolisieren, sagen manche Leute in Sathmar – einen Krieger, der in die Richtung des zehn Kilometer entfernten Nachbarn Ungarn zeigt.
Von Feindseligkeiten ist heute nichts mehr zu spüren. Fast überall in der Stadt sind zweisprachige ungarisch-rumänische Schilder angebracht. Der Grenzverkehr läuft rege. Viele ungarische Firmen haben Filialen in Sathmar eröffnet, viele Menschen aus Rumänien fahren täglich zur Arbeit nach Ungarn. Der Kreis hat eine der niedrigsten Arbeitslosenraten von Rumänien und lebt gut von dem Handel mit den Nachbarländern.
Mit Geldern aus dem „Cross Border Cooperation“-Programm der EU wurden mehrere Grenzübergänge modernisiert und Wartezeiten erheblich verkürzt, darunter am ungarisch-rumänischen Grenzübergang Petea und am rumänischen Teil des Grenzübergangs Halmeu zur Ukraine. Die Probleme der Unternehmer, die vom Warenaustausch mit Nachbarländern leben, wurden jedoch nur zum Teil gelöst. Während die Ukraine am Übergang Halmeu nur Warenverkehr zulässt, dürfen über den Grenzübergang Petea keine Lastkraftwagen fahren, weil Ungarn die Zufahrtsstraße zum Grenzübergang noch nicht ausgebaut hat.
Dadurch entstehen absurde Situationen. Ionel Nistea, Teilhaber einer Möbelfirma aus Sathmar, sagt: „Damit wir, die wir zehn Kilomter von der ungarischen Grenze entfernt sind, nach Ungarn exportieren können, müssen wir nach Großwardein zum Grenzübergang Bors fahren, der 130 Kilometer entfernt ist. In die Ukraine können wir über das 35 Kilometer entfernte Halmeu exportieren, aber für ein Geschäftstreffen in der Ukraine müssen wir entweder über Ungarn über den Grenzübergang Beregovo fahren oder hier über das 105 Kilometer entfernte Sighet. Das ist doch kein Zustand!“
Auf die Euroregion sind Nistea und sein Partner, Alexandru Kiss, gar nicht gut zu sprechen. „Wir lesen in den Zeitungen und hören im Radio, dass es vielerlei Treffen und Vereinbarungen gibt. Dass neue Straßen gebaut werden, neue Grenzübergänge eingerichtet werden. Nur Resultate haben wir nicht gesehen.“
János Muszka, Koordinator des Unternehmerforums aus dem Kreis Sathmar, kennt die Schwierigkeiten. „Die Euroregion hat bisher eher auf protokollarischem Niveau funktioniert“, sagt er. „Es ist wichtig, dass wir überhaupt auf dieses Niveau gekommen sind. Aber nun muss die Euroregion mit Inhalt gefüllt werden.“
An Ideen mangelt es nicht. Auch nicht dem Bürgermeister von Halmeu, Alexandru Panea. „Jedes Frühjahr haben wir Hochwasserprobleme“, erzählt er. „Wir könnten das gemeinsam mit dem Nachbardorf Diakovo auf ukrainischer Seite lösen, nämlich durch eine gemeinsame Kanalisation und Klärstation für die Dörfer auf beiden Seiten. Leider klappt es bei der Zusammenarbeit mit den Ukrainern nur schlecht.“
Erfolg für eine Gemeinde
Bei anderen Projekten war Panea erfolgreich – allerdings nur für seine Gemeinde. Von der Weltbank kam Geld, mit dem das Krankenhaus im Ort modernisiert wurde, die Open-Society-Stiftung des Börsenmilliardärs George Soros bezahlte einen Computer für das Bürgermeisteramt, der Phare-Fonds der EU finanzierte weitere Computer und einen Internetanschluss. „Als der erste Computer hier stand – das war ein wirklicher Feiertag für uns“, sagt Alexandru Panea.
Der Bürgermeister führt den Besucher durch die Gemeinde. Seit einigen Jahren bauen viele Einheimische auf ihren Feldern Erdbeeren an. Manche sind damit zu Wohlstand gekommen, wie an dutzenden großer Häuser zu sehen ist. Nahe der Grenze errichtet die Bukarester Petrolfirma Unicom Tranzit einen neuen großen Erdölumladeterminal.
Der Chef der Anlage, Ion Rotaru, hat „von der Euroregion gehört“, mehr nicht. Die Probleme mit dem Grenzverkehr hat er auf seine Weise gelöst: Wenn er einmal Geschäftstreffen in der Ukraine hat, nutzt er seinen Passierschein für den kleinen Grenzverkehr und fährt einfach über die erlaubte Zone hinaus – notfalls bis Kiew.
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