: Die Journalisierung der Kulturwelle
■ Mit zehneinhalb Stunden Magazinsendungen pro Tag will Radio Bremen voraussichtlich ab November neues Kulturradio machen und Format ins heterogene Programm bringen
„Schrecklich“, „entsetzlich provinziell“, „abstellen“: Der Start des neuen Programms „bremen eins“ hat unter HörerInnen nicht gerade Begeisterungsstürme entfacht. Das Gästebuch auf der Homepage von Radio Bremen quillt jedenfalls über vor kritischen Reaktionen. Gewiss: Diese Urteile sind nicht repräsentativ, dafür aber nahezu einhellig negativ. Im Rundfunkrat war die Resonanz auf die neue Welle in dieser Woche jedoch kein Thema. Drei Wochen nach Verabschiedung des „bremen eins“-Schemas und zwei Wochen nach Sendestart beriet das Gremium jetzt ein weiteres Programmschema: das der Kulturwelle „NordWest-Radio“, die in Zusammenarbeit und mit Geld vom NDR voraussichtlich ab November auf Sendung gehen soll. „Es ist schwer, sich darunter ein Programm vorzustellen“, sagten mehrere RednerInnen. Und segneten das Schema dann doch einstimmig ab. Voraussichtlich Ende Juni wird auch der NDR-Rundfunkrat über die als historisch eingestufte Verwaltungsvereinbarung abstimmen.
Im Ersatzprodukt für das Kulturprogramm „Radio Bremen 2“ finden sich viele neue Namen. „Musikzeit“ oder „NW-Kultur Aktuell“ sollen einen Neubeginn signalisieren. Denn als reiner Sponsor für das bisherige Programm wäre der NDR wohl kaum zu gewinnen gewesen. Immerhin zahlt der große Nachbar mit sechs Millionen Mark rund die Hälfte der (geplanten) Programmkosten. Trotz der Titelkosmetik hat es aber den Anschein, als wollten die BremerInnen so viel wie möglich „Bremen 2“ in das neue Programm herüberretten. Genres heißt das Zauberwort für die Verwandtschaft von Kulturwelle alt mit Kulturwelle neu.
Das für einen Marktanteil von drei Prozent geplante „NordWest-Radio“ ist die Journalisierung des Kulturprogramms. Statt der Brüche, die alle paar Stunden zum Austausch der Hörerschaft führen, soll das neue Programm wenigstens tagsüber durchhörbar sein. Werktags zwischen 7 und 19.30 Uhr ist das Einschalt- oder Kästchenradio out, klärten die ProgrammplanerInnen um Jörg-Dieter Kogel und Hans Dieter Heimendahl die Rundfunkräte auf. Zehneinhalb Stunden Info- und Kulturmagazine sowie Nachrichten jeweils zur halben Stunde führen durch den Tag, der in einem „innovativen, weltoffenen regionalen Informations- und Kulturprogramm“ abgebildet werden soll. Die Nachfolgesendungen für die „Globale Dorfmusik“ oder „Auf schwarzen und weißen Tasten“ dürfen sich ihr Publikum vor allem am Abend suchen. Dort finden sich auch Features und das zwischendurch schon fast aus dem Programm gekegelte Hörspiel wieder.
Dieses Schema hätte sich in Bremen noch vor wenigen Jahren kaum jemand in Verbindung mit dem NDR vorstellen können, als erstmals über eine Kooperation verhandelt wurde. „Von unseren damaligen Befürchtungen ist keine Spur übrig geblieben“, freut sich der RB-Verwaltungsratsvorsitzende Thomas von der Vring. Und hört man Heimendahl und Kogel zu, kann man eine Lust auf die Gestaltung eines neuen Kulturradios heraushören. „Wir haben die gewaltige Chance, ein Programm zu machen, das es noch nicht gibt“, sagt Kogel.
Aber ist das Neue wirklich neu? Kogel selbst spricht – ganz dialektisch – zugleich auch von großer Kontinuität im Programm und den Personen. Von den geplanten 80 MitarbeiterInnen des „NordWest-Radios“ werden nach dem derzeitigen Stand fünf vom NDR kommen – zwei allerdings in Leitungsfunktion. Ein Teil des Bremen-2-Personals wird voraussichtlich für die Bremer Zulieferung zum WDR-Programm „Funkhaus Europa“ verantwortlich sein, zu dem RB schon jetzt Sendungen wie „Art und Weise“ beiträgt. Wohl ab Herbst wird es auf den Frequenzen der eingestellten Melodie-Welle übernommen.
Also werden die Stimmen der Journalredaktion WortführerInnen im neuen Programm. Es sind Stimmen, die zum Teil schon seit vielen Jahren zu hören sind. In einer Mischung aus gebildetem Plauderton und einer manchmal beängstigenden Souveränität erledigen sie ihre Programmpunkte auf der breiten Palette zwischen Journal-Rätsel, Kulturkalender und Kosovo-Krise. Kontinuität und neutrale Gelassenheit haben durchaus Qualitäten. Das Journal ist aber – im Gegensatz zum TV-Magazin „buten & binnen“ – frei von Überraschungen.
Ein bisschen abfällig spricht Programmplaner Hans Dieter Heimendahl vom alten Kulturradio als Kästchenradio, in dem es für Weltmusik-, Klassik- und Kunstfans jeweils ein Eckchen gegeben habe. Obwohl es auch im neuen „NordWest-Radio“ derartige Nischen geben wird, ist das Programm dem Konzept nach keine Neuerfindung des Kulturradios. Da hat ein quotenträchtigeres Kästchen, das Magazin, den Sieg über die anderen davongetragen und wird zum Format. Allein: „Ein Schema“, sagt Heimendahl, „ist nur ein Gefäß. Es kommt darauf an, wie man es füllt.“ Dafür haben die RadiomacherInnen mit Segen des Bremer Rundfunkrats noch ein knappes halbes Jahr Zeit. Christoph Köster
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen