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Liebende FM Dreiheit

Gesine Danckwarts Stück „Summerwine“ führt Second-Hand-Identitäten vor, beim „reich & Berühmt“-Festival wird daraus der Versuch eines großen Staatsschauspiels

So, wie der junge Bursche auf die Bühne schlenkert, könnte er geradewegs aus seinem Webdesignstudio kommen. Den Tag über an Homepages gebastelt, den Feierabend redlich verdient. Er wirft seinen knirschenden 70er-Jahre-Plattenspieler an, und aus den Boxen schnurrt die Neufassung der alten Schnulze „Summerwine“. Eingespielt von Gry with FM Einheit & his Orchestra. Schöne Musik. Schwebend, sehnsuchtsvoll und ein bisschen sentimental.

Für unseren schnittigen Zeitgenossen (Sebastian Hölz) gerade gut genug, um tapsende Tanzschrittchen zu erproben und nebenbei sich der Arbeitsuniform zu entledigen. Mit einem Fingerschnipsen knackt er FM Einheit weg – und die Träume beginnen. Zwei lüsterne Damen (Anja Herden, Monique Schwitter) kommen des Wegs und entdecken in dem Schlummernden ihren Dreamboy. Doch ehe sie ihrem Begehren und Ansinnen Luft machen, wacht das Objekt der Begierde auf. Und mit ihm das ganze jämmerliche Leben: Ein bisschen Liebe wollen sie alle drei, ein bisschen verrückt sein auch. Aber aus der ersten beschwipsten Nacht wird der bittere Ernst einer Dreiecksgeschichte. Eifersucht und Enttäuschung statt feucht-fröhlicher Unbeschwertheit. Leider.

Spätestens hier hat die Inszenierung von Remsi Al Khalisi die Bahnen der Textvorlage verlassen und sich ins Nirgendwo verloren. „Summerwine“, kürzlich im Forum Freies Theater Düsseldorf uraufgeführt und nun in Berlin im Rahmen von „reich & berühmt“ zu sehen, erzählt uns eine andere Geschichte.

Drei autistische Patchwork-Identitäten sind es, die auf Erden suchen, was sie nie hatten: Sinn, Erfüllung und ein handfestes Ziel. Die Autorin Gesine Danckwart lässt sie als Elementarteilchen bindungslos durchs Dasein kreisen. Alle Gefühle, jede Zuversicht haben sie bloß zitiert und nie wirklich erlebt. Alles ist ihnen Vorbereitung für das eigentliche Leben, das eh nie kommt.

Wie oft in den bislang sechs Dramen der 1969 geborenen Danckwart laufen die Rollen parallel, schneiden sich vielleicht im Unendlichen, verheddern sich aber nie zu einem ordentlichen Bühnenkonflikt. Es gibt wenig Stücktexte, die derart ausgehöhlte Menschen vorführen. Immer sind es Figuren, die keine wirklichen Probleme und gerade deshalb, der Dialektik sei Dank, ein richtig großes haben. Der Raum, in dem sie stehen, ist entsprechend unfassbar.

In „Summerwine“ fantasieren sich die verlorenen drei auf einen Meteoriten, der über Deutschland kreist: Sie sind weit weg und unendlich nah. FM Dreiheit könnte ihre Name sein. Man kann darin ein politisches Statement entdecken: Leute wie diese sind zu allem fähig, weil ihnen alles zerrinnt. Es sind Michel-Houellebecq-Figuren mit Heiner-Müller-Mentalität: Kaltschnäuzig und abgeklärt sehen sie in den Abgrund, der sie selber sind. Die Regie macht aus diesem spröden Setting psychologisches Kammerspiel. Die schroffen Nichtbeziehungen werden in eine tatsächliche Liebesdramatik überführt. Das kann nicht mehr überzeugen als alter Wein in neuen Schläuchen. Auch deshalb, weil der gesamte Abend unentschieden auf der Stelle tritt. Die Sprechhaltung ist distanziert, aber das Körperspiel riecht nach großem Staatsschauspiel.

Die Bühne von Peter Scior gibt mit seinem großen Holzrahmen und den wenigen Requisiten ein zu loses Feld vor, als dass es die komponierte Textvorlage zusammenhalten könnte. Die Darsteller fallen förmlich aus ihren Haltungen heraus, weil ihnen das Gesamtkonzept zu wenig Halt gibt. Dennoch transportiert die eine Stunde mitunter einiges Irritationspotenzial. Immerhin.

DIRK PILZ

Noch heute ab 19 Uhr 30, im Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte

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