Spiel nicht mit der Kuscheldroge

Afrofuturismus 2001: Missy Elliott, als Produzentin und HipHop-Musikerin gefeiertes Multitalent, legt ihr drittes Album „Miss E . . . so addictive“ vor: Ein zart orientalisch gewürztes Festessen mit vielen Gästen, und auf gewohnt hohem Niveau. Nur ihre Ecstasy-Anspielungen machen wenig Sinn

von HEIKE BLÜMNER

Die Welt wird immer innovativer. Genau genommen ist es so, dass alles, was neu ist, automatisch als innovativ gilt. Alles, was neu und zusätzlich aller Voraussicht nach auch noch gut ist, wird zum „Inbegriff von Innovation“. Als Inbegriff von Innovation gilt beispielsweise Missy Elliott, die mit „Miss E . . . so addictive“ gerade ihr drittes Album herausgebracht hat. Doch halt! Da sich inzwischen auch Möbelfirmen, Parteiprogramme und Jeansgeschäfte als innovativ bezeichnen, ist es angebracht, tief durchzuatmen, sich ein Tässchen Tee zu kochen und die so Gerühmte in Ruhe unter die Lupe zu nehmen, bevor in Ermangelung weiterer zukunftsweisender Beschreibungen beim nächsten Missy-Elliott-Album überall „Revolution!“ gerufen wird.

Tatsächlich verhält es sich so: Mellisa Elliott aus Portsmouth/ Virginia, 28 Jahre alt, und ihr Partner und Coproduzent Timbaland setzten mit „Supa Dupa Fly“, ihrem Debütalbum, im Jahr 1997 einen neuen Klangstandard. Sie schafften mit ihren eigentümlichen Beats und einer bis dahin ungehörten Fusion aus HipHop und Swingbeat, wovon jeder Produzent und Musiker träumt, nämlich einen eigenen, unverwechselbaren Sound zu kreieren, der nicht nur andere HipHop- und R-’n’-B-Künstler beeinflussen sollte, sondern darüber hinaus auch alle anderen Bereiche der Popmusik. Kurz: Die Welt schrie hurra, denn was sie hörte war sexy, neu und cool.

Das Brillante an Missy Elliott ist gerade nicht, dass sie von da an mit jedem Album einen neuen Sound erfand. Das Brillante an ihr ist, dass sie vor vier Jahren ein Plateau erschaffen hat, dass sie seitdem nicht verlassen hat, auf dem sie ihren Stil kultiviert und verfeinert, ohne zu langweilen. Jedes ihrer Alben steht in der Tradition des vorherigen, nutzt ähnliche Beats und Effekte – und doch kriegt man nie genug davon. Und auch bei ihrem dritten Album ist es schwer zu sagen, welches von allen denn nun das Beste ist, denn am Ende sind sie alle gleich gut.

„Miss E . . . so addictive“ klingt ähnlich wie seine Vorgänger: solide und aufregend zugleich, und bewegt sich auf konstant hohem Niveau. Fast jeder Track hat Hitqualitäten, und alle zusammen machen mehr Freude als einer alleine. Es heißt, dass orientalische Klänge, rückwärts geloopte Sitarklänge und minimalistischere Rhythmen dem Missy-Style einen neuen Flavour verleihen. Vielleicht ist das so. Eine Hand voll neuer Gewürze verändern aber noch lange nicht den Suppenfond. Nicht zu vergessen die illustren Gäste, die jede Einladung zum Festschmaus à la Missy und Timbaland zum Erlebnis machen. Dieses Mal mit dabei: Ginuwine, Eve, Stammgast Busta Rhymes, Redman, Method Man und noch einige mehr. Mindestens genauso interessant ist allerdings die Frage, wer nicht zur Party eingeladen wurde. Zum Beispiel die „beste Freundin“ Lil’ Kim, die bisher auf jedem Album mit dabei war. Überhaupt werden das Bad-Boy-Entertainment-Umfeld und Puff Daddy, der in der Missy-Elliott-Saga bis dato den offiziellen Entdecker-Posten innehatte, nicht mal mehr in den Linernotes erwähnt – im HipHop, wo von äußerster Bedeutung ist, wer wen wann und wo grüßt, und vor allem an wievielter Stelle nach Gott und der Mama, kein unbedeutender Affront.

Wie schon der Vorgänger „Da Real World“, hat auch „Miss E . . . so addictive“ nur eine Schwachstelle, und die liegt im inhaltlichen „Konzept“ des Albums begraben. Wurde uns bei „Da Real World“ unter anderem das Spielchen mit dem Wort „Bitch“ als künstlerische Taufrische verkauft, geht es bei „Miss E . . . so addictive“ auf verquere Weise um die alte Tante Ecstasy, die in Europa sicherlich keinen Künstler, der als Inbegriff von Innovation gehandelt wird, zu einem Albumtitel inspirieren würde. Aber auch in Amerika ist die Droge, seit sie vor ein, zwei Jahren in HipHop-Kreisen Einzug hielt, kein besonderes Phänomen mehr. Nachdem es ja in den USA so etwas wie Ravekultur kaum gegeben hat, waren es ausgerechnet die superbösen Gangster wie Bones, Thugs & Harmony oder Eminem, die sich von der Kuscheldroge inspirieren ließen. Auch Puff Daddy wird ein ausgeprägtes „Ecstasy-Habit“ hinterhergemunkelt.

Missy Elliott spickt „Miss E . . . so addictive“ mit Zitaten und Querverweisen auf Ecstasy und behauptet gleichzeitig, das Zeug noch nie genommen zu haben. Der Grund, warum sie beispielsweise einen Track so nennt, sei schlicht, weil ihr Freunde, die Ecstasy schon genommen haben, sagen, wie toll und frei man sich dabei fühlt. Eben so, wie wenn man sich fühle, wenn man ihre Musik höre. Gleichzeitig aber will sie mit dem Album vor Drogen warnen.

Wie soll man das alles verstehen? Die Extremerfahrungen anderer Leute als positiven Anstoß für die eigene Arbeit nehmen und gleichzeitig davor warnen? Das wäre so, als würde Dr. Motte einen Loveparadeknaller-Track rausbringen, inspiriert durch verstrahlte Raver, der dann in eine nationale Antidrogenkampagne eingebaut wird. Vielleicht geht das in Amerika. Vielleicht ist das aber einfach auch nur generell verstrahlt.

Miss E: „ . . . so addictive“ (eastwest)