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Dasselbe mal anders

■ Nicht bloß kunstimmanent: Thomas Lehmens „mono subjects“ auf Kampnagel

Es ist, was es ist. Und doch sieht dasselbe wenig später ganz anders aus. Zumal es sich um Bewegungen handelt, die sich in unterschiedlichen Körpern ausbreiten. Denn gegensätzlicher könnten die Partner kaum sein, die sich der Tänzer und Choreograf Thomas Lehmen mit der kleinen, kompakten Maria Clara Villa-Lobos und dem dürren Schlacks Gaetan Bulourde für sein Stück mono subjects auf die Kampnagel-Bühne geholt hat.

Doch nicht allein der grobe Unterschied, der eine von Villa-Lobos angeführte Chorus Line ziemlich schräge und brüllend komisch aussehen lässt, ist in der zurzeit auf Kampnagel gastierenden Tanzperformance Programm. Lehmen verfolgt in seiner Arbeit ganz existenzielle Ziele.

Letztlich geht es ihm um das Sein des Performers, der einzig sich selbst ausstellt, befreit von Rollen- und Stildiktionen. Was ist wahr, was inszeniert, was real im theatralen Kontext? Bestechend einfach geht der Wahlberliner in seinen Choreographien die Frage an, um sie in einem komplexen Gefüge um Identität, Original und Fälschung intelligent zu verdichten.

Eine Hand wedelt von rechts nach links. Sie winkt. Aber was bedeutet es? Hallo oder Auf Wiedersehen? Zwei Seiten einer Medaille. Vielleicht ist der Performer genau das, was er den Zuschauer glauben macht. Dabei legt Lehmen die Karten offen auf den Tisch. Eingangs stellt er die Beteiligten vor, outet sich selbst als verantwortlichen Choreografen. Villa-Lobos zeigt im Schnelldurchgang alle im Stück verwendeten Bewegungen. Lehmen beschreibt den Raum, zählt auf, was man sieht, einschließlich einer Zeitungskritik, aus der Bulourde am Schluss radebrechend vorliest.

Seit Lehmen mit seinem Solo distanzlos bei der Tanzplattform 2000 auf Kampnagel überzeugte, erobert er die Tanzbühnen und bringt vor allem den zeitgenössischen Tanz in Deutschland zum Nachdenken – selbstironisch, doch weit über die kunstimmanenten Befindlichkeiten hinaus.

Ob seine Art zu choreografieren damit zu tun habe, dass er Deutscher sei, habe Villa-Lobos ihn bei den Proben gefragt, erzählt Lehmen, und ihn gebeten, eine typisch deutsche Bewegung zu machen. Sein Arm fährt ausgestreckt nach oben, während er mutmaßt, dass wohl noch nie ein deutscher Choreograf diese Bewegung im Tanz gezeigt habe. Aber auch andere Bewegungen – er kratzt sich am Hintern – macht er zum ersten Mal, wie er betont.

Doch Lehmen kokettiert nicht. In seiner verbindlichen Haltung liegt eine Menge Wahrheit. Und seine Stärke als Choreograf und Performer, aus der er immer wieder erfrischend neue Bewegungen schöpft. Irmela Kästner

Sonnabend + Sonntag, 20 Uhr, Kampnagel (k2)

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