piwik no script img

Prozesshafte Instrumentals

■ Sperrig schöne Elektroniker: „To Rococo Rot“ und I-Sound im Westwerk

Dass hier bitte schön niemand mehr von Krautrock redet. Nach kristallin schönem Elektro, vervielfachtem Vinylknistern und Störgeräuschen klingt das jüngste To Rococo Rot-Album, Music Is a Hungry Ghost. Das Berlin-Düsseldorfer Trio aus den Gebrüdern Robert und Ronald Lippok und Stefan Schneider holte sich den New Yorker DJ und Produzenten I-Sound alias Craig Willingham in die ein Studio ersetzende Altbauwohnung. I-Sound kreierte und verwaltete Knirsch- und Rumpellaute und fügte dem Bandsound so jenes Quäntchen sperriger Rauhheit zu, das eventuellen Verdächtigungen, To Rococo Rot seien doch allenfalls an der eigenen Schläue scheiternder TripHop für Galerie-Besucher, wenn nicht zerstreuen, so doch wenigstens in erträgliche Distanz schieben sollten.

taz hamburg: I-Sound war ja schon am letzten Album beteiligt.

Ronald Lippok: Wir haben Craig mal in New York getroffen. Da hat er aufgelegt. Er benutzt die Turntables als Soundquelle – weniger, um Tracks hintereinander zu spielen. Außer er legt seine raren Reggae-Singles auf. Dieses Set damals war ziemlich intensiv, laut und harsch.

Robert Lippok: Er kommt aus so einer Distortion-HipHop-Inferno-Ecke. Wir haben '98 angefangen, Sessions mit ihm zu machen, eine fruchtbare Zusammenarbeit. Es war eigentlich kein Plan, daraus eine LP zu machen.

Wie schwer wiegt sein Einfluss?

Robert: 200 Tonnen... Nein, im Prinzip war er ein viertes Bandmitglied. Er hatte den selben Input, den wir auch haben, hat andererseits unsere Sachen kommentiert, über das Bedienen von Instrumenten hinaus. Er hat den gesamten Sound beeinflusst.

Ronald: Nicht, dass wir uns entschlossen hätten, „die nächste Platte ein bisschen offener“ oder „abstrakter“ oder so. Das hat sich ergeben.

Robert: Es war sehr angenehm, weil es kein Ziel gab. Es machte Sinn, zusammen Musik zu machen. Aber es gab kein Produkt, das am Ende stehen sollte. Das hat die Aufnahmen sehr frei gemacht. Wir haben viel ausprobiert.

Ronald: Aber im Prinzip ist jetzt auf dem Album, was dabei rausgekommen ist. Nicht, dass wir eigentlich drei aufgenommen haben. Oft arbeiten wir ja daneben noch an anderen Sachen: Remixe, Soundins-tallationen, Radio-Hörspiele.

Robert: Die sind halt gut als Ide-engeber. Das hat nichts mit Platten zu tun. Bei Ausstellungen produziert man spezielle Geschichten für einen Raum. Guckt, dass das gut klingt, wählt die Musik ganz anders aus. Eine andere Möglichkeit, mit Musik umzugehen. Es gibt immer Einflüsse: Wir hören alle ziemlich viel Musik, auch neue. Da kommen schon neue Elemente, die wir aber transformieren. Wir würden keinen 2Step-Rhythmus bringen – weil es keinen Sinn machen würde. Aber interessant ist es.

Wie arbeitet ihr live? Wie fertig sind die Tracks, wieviel wird gespielt?

Robert: Craig hat nur zwei Wochen Urlaub, aber die opfert er gerne, um mit uns auf Tour zu kommen. Wenn wir im Herbst in Europa touren, wird er vielleicht vereinzelt dabei sein. Aber jetzt auf alle Fälle.

Ronald: Uns ist wichtig, das live zu machen. Viele Stücke entwi-ckeln sich eine Zeit lang und nehmen ganz seltsame Wege. Unsere Live-Arbeit ist, glaube ich, ziemlich unterschiedlich von dem, was auf den Alben passiert.

Robert: Wir lassen uns Freiraum. Die Grundstruktur stimmt, aber man kann eingreifen. Es gibt auch Stücke, die wir nur live spielen, die nicht auf Platte erscheinen. Livespielen ist nochmal so eine ganz andere Ebene, an die Musik ranzugehen. Ist ja auch schön, mal über eine richtig große Anlage zu hören, wie die Musik klingt. Wie die Bässe klingen.

Auch wenn To Rococo Rot und I-Sound beim gemeinsamen Konzert wohl keine expliziten Referenzen an andere, bildende Künste – etwa in Form von Videos – dabeihaben werden, passt das Konzert der interdisziplinären Vier doch ins Begleitprogramm der Langen Nacht der Museen. Vielleicht halten ja die Sonderbusse auch in der Nähe der Admiralitätsstraße.

Interview: Alexander Diehl

Sonnabend, 21 Uhr, Westwerk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen