: Eine Ode auf den Doppelpass
■ Muhsin Omurca, Kanak-Supermän der taz-Persembe, flog nach HB
Aber kann Kanakmän wirklich fliegen? Man weiß es noch immer nicht. Der unrasierte Hänfling mit dem Nietzsche-Schnauzer, der giftgrünen Unterhose und dem „Prototürk-Gesicht“ (Omurca) „flattert“ zwar allen taz-LeserInnen jeden Donnerstag mit der Persembe „ins Haus“ – aber ob sein rotes Cape anderen als dekorativen Zwecken dient, bleibt weiterhin Gegenstand von Spekulation.
Sein Schöpfer kann jedenfalls nicht fliegen, soviel scheint sicher. Muhsin Omurca, 1959 in der Türkei geboren, ist ein Multitalent: Car-toonist, Karikaturist, Chansonnier und vor allem Kabarettist. 1985 gründete er das erste türkische Kabarett in der BRD, „Knobi-Bonbon“, das 12 Jahre lang aktiv war. Die Erfahrung, die er aus dieser Zeit mitbringt, merkt man ihm an. Bereits sein erstes Soloprojekt „Tagebuch eines Skinheads in Istambul“ wurde begeistert aufgenommen und mit dem Deutschen Kabarett-Sonderpreis 1998 ausgezeichnet. Derzeit tourt er mit seinem neuen Programm „Kanakmän – tags Deutscher, nachts Türke“.
Der Abend beginnt akustisch. Noch bevor der Künstler die Bühne betritt, ertönt die deutsche Nationalhymne – allerdings als turkish folklore remix. „Na, mal wieder ein Multikulti-Abend?“ begrüßt Omurca das Publikum. Dann vollzieht sich eine zweifache Metamorphose: Omurca wird zu Hüsnü, dem Helden aller seiner Geschichten, und Hüsnü wird zu Kanakmän, dem – Zitat aus dem Programmheft – „mächtigsten, coolsten, angesehensten Hauptdarsteller von Phantasia-Deutschland“. Bevor der Leidensdruck jedoch so groß wird, dass er Hünsü in Superheld-Phantasien treibt, träumt dieser schlicht vom Doppelpass. Nein, er ist kein Fußballfan. Da kann man doch mal sehen, wie gründlich man diese Geschichte bereits verdrängt hat. Zur Erinnerung: Es gab da vor gar nicht allzu langer Zeit einmal Debatten um eine doppelte Staatsbürgerschaft und dann Unterschriftensammlungen und so ... aber aus der Traum, es gibt nur noch entweder-oder. Also entscheidet sich Hüsnü für „oder“. Aber bevor er den wertlosen Lappen, der sich Türkischer Pass nennt, gegen den „Mercedes unter den Pässen“ eintauschen darf, muss er zahlreiche Härtetests überstehen, unter anderem „Urlaubsfotos der Freunde angucken“, „Überlebenstraining mit Gartenzwergen“ und „60 Minuten Isolationshaft“, was für den geselligen Türken den Gipfel an seelischer Grausamkeit bedeutet. Nach erfolgreich bestandenem Sprachtest ist er dann endlich ein Deutscher, muss aber feststellen, dass er sowohl in Almanya als auch im „homeland“ ausgelacht wird: in ersteren, weil er wie ein Türke aussieht, und in zweiteren, weil er wie ein Türke aussieht. Das setzt ihm so zu, dass er schließlich zu Kanakmän wird, dem Rächer aller Ausländer, der Edmund Stoiber ins paraguayanische Asyl treibt.
Um diese Geschichte zu erzählen – und eine Parallelgeschichte über die Erlebnisse von Hüsnüs Bruder Ali bei der Bundeswehr – zieht Omurca alle Register seiner Könnens. Während seine Cartoons auf die Leinwand projiziert werden, spricht er ein stark akzentgefärbtes Kanakster-Deutsch, streut immer wieder Passagen in türkisch ein (die er der Fairness halber erklärt), singt ganze Textabschnitte im Stil türkischer Folklore oder rappt auch mal.
Er hat das Publikum mit seiner eindringlichen Präsenz in der Hand, bleibt dabei aber entspannt und flexibel. Und er beherrscht die höchste Kunst des Kabaretts: Den Eindruck zu erwecken, man würde einfach drauflosbrabbeln – und dabei ganz genau zu wissen, was man sagt und warum man es sagt. Auf diese Weise hält er eine geschickte Balance zwischen subtilem und kalauerndem Humor, zwischen surrealer Überzeichnung und harten Tatsachen, zwischen Nonsens und dedizierten politischen Positionen: „Integration is ne Utopie.“ Sein Können scheint vor allem dann auf, wenn er in verschiedene Rollen schlüpft und diese in fiktivem Dialog wiedergibt. Er verbrät deutsche wie türkische Klischees, ohne sich um political correctness zu scheren und scheint dabei genau so viel Spaß wie das Publikum zu haben.
Tim Ingold
Website: www.omurca.de
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