Kein Freigang für den Senat

■ Nach Vergewaltigungen: Behörde und Landesbetrieb ziehen Konsequenzen

Der Neubau eines Krankenhauses wird vorgestellt. Ein Fall für Sozialsenatorin Karin Roth (SPD), dies vor der Presse zu erledigen. An sich. Gestern war das Chefsache. Bürgermeister Ortwin Runde war in die Landespressekonferenz mitgekommen, um das 298-Millionen-Projekt des neuen Krankenhauses in Barmbek zu präsentieren.

Der Bürgermeister braucht einen positiven Auftritt, nachdem der Senat in den vergangenen Wochen in enorme Schwierigkeiten geraten ist. Runde posiert vor dem Modell, begrüßt den Rathauskorrespondenten der Bild-„Zeitung“, die seit Wochen gegen den Senat aus allen Rohren schießt, extra per Handschlag – er ist sichtlich bemüht, gut Wetter zu machen. Die bekannt gewordenen Vergewaltigungen am Klinikum Nord in Ochsenzoll und die damit verbundenen Informa-tionspannen zwischen dem Landesbetrieb Krankenhäuser LBK und der Gesundheitsbehörde haben Runde auf den Plan gerufen, sich bei den Medien sehen zu lassen.

Als die Nachfragen zu Ochsenzoll kommen, hält sich Runde he-raus und hört zu, wie Roth und LBK-Vorstandschef Heinz Lohmann sich rechtfertigen müssen. Dafür, warum es dazu kam, dass zwei Frauen auf dem Klinikgelände bei Freigängen von Sexualstraftätern vergewaltigt wurden, warum ein dritter Vergewaltigungsversuch aus dem Vorjahr monatelang auch der Behörde nicht bekannt wurde, warum die Senatorin von den Fällen nicht umgehend informiert worden ist.

Roth räumt ein, es gebe „Aufklärungsbedarf“. Den soll eine Sachverständigenkommission klären: In der sollen VertreterInnen aus Psychiatrie, Polizei und Staatsanwaltschaft Vorschläge machen, wie man die gegenseitige Informationspolitik verbessern kann und wie künftig mit Lockerungen im Vollzug umzugehen sei. Einen Sündenbock hat Roth auch schon ausgemacht: Den Ärztlichen Direktor des Klinikums, Ulrich Vetter. „Herr Vetter ist zumindest in einem Fall seiner Informationspflicht nicht so nachgekommen, wie er es hätte tun müssen.“ Dagegen genießt Lohmann „das uneingeschränkte Vertrauen“ Roths.

Lohmann kündigt derweil Konsequenzen aus den Taten an. Künftig sollen sämtliche unaufgeklärten Vorfälle aus der Vergangenheit im Klinik-Umfeld nochmals darauf überprüft werden, ob sie von Patienten der Gerichtspsychiatrie begangen worden sein können. Vor der Entscheidung über Freigänge wird künftig ein weiteres externes Gutachten eingeholt.

Wie berichtet, hatte der 33jährige Andreas P. im Mai und im Februar bei Freigängen zwei Frauen vergewaltigt. Einen dritten Fall gab es offenbar im Juli 2000: Ein 29jähriger soll während seines Freigangs versucht haben, in Ohlsdorf eine Frau zu vergewaltigen. LBK und Klinikleitung stehen in der Kritik, weil nach der ersten Vergewaltigung keine Konsequenzen gezogen wurden.

Lohmann wirbt um Verständnis für die „gesellschaftlich wichtige Arbeit“ der Therapeuten. Die Gerichte würden bundesweit immer häufiger Sexualstraftäter mit Persönlichkeitsstörungen in die Kliniken einweisen. „Ich werde nicht zulassen, dass die Psychiatrie damit alleingelassen wird.“ Roth ist zumindest nicht bereit, ihm die Verantwortung abzunehmen: „Stellen Sie sich vor, eine Senatorin wäre für jeden Vorfall in jedem Krankenhaus verantwortlich. Das sehe ich wirklich nicht als die Aufgabe einer Senatorin an.“

Peter Ahrens/Kaija Kutter