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Die Babelsberger Kuscheltruppe

Nach dem FC Union steht auch der SV Babelsberg kurz vor dem Aufstieg in die 2. Liga. Der Erfolg des mittelständischen Betriebs kam überraschend. Selbst die Spieler hatten zu Saisonbeginn noch eine Nicht-Abstiegs-Prämie verlangt

von MARKUS VÖLKER

Wenn die Familie angeblich die Keimzelle der Gesellschaft ist, dann ist der SV Babelsberg 03 der Schößling einer schönen, heilen Fußballwelt. Die Suche nach dem Erfolgsgeheimnis des Regionalligisten aus Potsdam endet stets bei einem Satz, der in den Rasen des Karl-Liebknecht-Stadions gefräst scheint: „Wir halten zusammen, egal was passiert.“

Doch das Leitmotiv der Babelsberger wurde nicht nach gruppendynamischen Intensivkursen geprägt. Es wurde auch nicht vom Flipchart einer Unternehmensberatung abgeschrieben. Der Kollektivgeist ist von den Umständen in Babelsberg bestimmt. Familiär, klein, provinziell sind die Attribute, die hier herhalten müssen.

Mit diesen Tugenden hat man sich im etwas ranzigen, weil finanzschwachen Speckgürtel der Hauptstadt in die Spitze der Regionalliga Nord geschossen. Während Union Berlin den Aufstieg in die 2. Liga schon geschafft hat, kämpft Babelsberg um den zweiten Platz. Die Chancen stehen nicht schlecht. Noch sind die Verfolger Preußen Münster und Fortuna Köln auf Distanz. Am Wochenende klauen sich beide Teams obendrein die Punkte, weil sie aufeinander treffen. Der SVB schaut sich das Treiben der Konkurrenz beschäftigungslos an. Man hat spielfrei.

Babelsberg blickt auf eine dürre Fußballgeschichte. Die beste Zeit liegt ein halbes Jahrhundert zurück. Damals, von 1949 bis 1958, kickte Rotation Babelsberg in der DDR-Oberliga. Bis zu 12.000 Fans kamen zu Spielen gegen Dresden oder Turbine Erfurt. Später ackerte sich der SC Motor Babelsberg durchs Niemandsland sozialistischen Ballsports. Heute liegt der Schnitt bei 2.700 Zuschauern. Noch weniger waren da, als man 1993 die Landesmeisterschaft holte und zwei Jahre später durch die Landesliga bis in die Regionalliga marschierte. Der Aufschwung kam überraschend. Kaum einer hatte die Kicker aus dem Filmdorf auf der Rechnung. Der Etat war vergleichsweise gering. Mit 4,3 Millionen Mark ging Babelsberg in die Saison. Die Spieler wollten vor dem ersten Spiel die Garantie einer Nicht-Abstiegs-Prämie. Doch Präsident Detlef Kaminski barst fast die Schädeldecke, als er davon hörte. Er zahle nur eine Aufstiegsprämie, sagte er und hauchte seinen Angestellten Selbstbewusstsein ein.

„Spielt euren Fußball, den ihr spielen könnt, frei von jedem Druck, und schießt immer ein Tor mehr als der Gegner“, hat er gesagt und auf die Fähigkeiten von Trainer German Andreev vertraut, der selbst 101-mal für den Verein auf dem Spielfeld stand. Andreev fördert den spaßbetonten Kick. Arbeit mit dem Ball, Kurzpassspiel – das ist die Welt des Russen. Im Vertrauen auf das eigene Können wurde in dieser Saison achtmal ein Rückstand aufgeholt. Zuletzt blieben sie in sieben Spielen ungeschlagen.

Kaminski prophezeit „eine wahnsinnige Entwicklung“. Er macht freilich Werbung in eigener Sache, denn er kümmert sich „14, 15 Stunden“ um den „mittelständischen Betrieb SVB“. Als Potsdamer Baustadtrat kämpfte er sich durch den Immobilienfilz der Landeshauptstadt, allerdings nicht ohne Lädierung. Nach einer Anklage wegen Bestechlichkeit in der so genannten Baufilz-Affäre wurde der 46-Jährige vom Amtsgericht Potsdam wegen Vorteilsnahme zur Zahlung von 12.000 Mark verurteilt. Und er verlor seinen Posten. Wenig später verhökerte seine Tochter in der Geschäftsstelle eben mal alle Mitgliederadressen an einen Finanzdienstleister.

Der Präsident arbeitet nun ehrenamtlich für den Verein, bekommt aber von der Stadt noch ein „Ruhegehalt“, sodass er sorgenfrei am Zweitliga-Etat basteln kann. 9,2 Millionen sollen zusammenkommen. Sechs Millionen Mark an Fernsehgeldern eingerechnet, ist das eine bescheidene Summe. „Ich will nur noch gesicherte Einnahmen“, sagt Kaminski, „ich habe keine Lust, noch mal so eine Harikiri-Saison durchzustehen.“

Die Belastungen seien nicht normal gewesen. Auch für die Spieler. Immer wieder mussten sie auf ihre Gehälter warten. Erst am Wochenende wurde das April-Geld überwiesen. Dennoch herrscht keine Verstimmung. Mittelfeldspieler Michael Lorenz sieht’s locker: „Weil so viele Siegprämien ausgezahlt werden mussten, langt es fürs Gehalt eben nicht mehr.“ Kollege Almedin Civa hat festgestellt, dass Geld nicht alles ist: „Wir haben wirklich Großes erreicht, nach jedem Spiel sind wir dichter und dichter zusammengerückt.“ Weil jetzt nicht einmal mehr ein Blatt Papier zwischen die elf Freunde passt, ist sich Civa sicher: „Ich habe hier die schönsten zwei Fußballjahre meines Lebens verbracht.“

Marco Küntzel hofft, dass es ihm bei Borussia Mönchengladbach weiterhin gut geht. Der Stürmer (13 Tore), einst von Union Berlin ausgemustert, unterschrieb einen neuen Vertrag. Viele Spielervermittler gehen derzeit hausieren in Babelsberg. Kaminski rät den Kickern zu Geduld. „In einem Jahr kriegen die viel mehr.“ Aber es gibt eh keinen, der freiwillig aus der Kuschelgruppe heraus möchte, deren Geheimnis darin besteht, dass „keiner sagt: Ich bin der große Guru, ich weiß alles besser“ (Kaminski). Mal sehen, wie heil die Babelsberger Fußballwelt in Zukunft bleibt.

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