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tamtürktür ... der wahre türke (11) von BJÖRN BLASCHKE

Vor kurzem hub ich an zu erklären, warum der Sänger Ibrahim Tatlises eine Marke ist, mit der er selbst horrende Gewinne einstreicht. Auch mir verschaffte der „Türkstar“ einst Vorteile: Nachdem mir 1987 ein Freund Ibos Kassette „Mavi Mavi“ geschenkt und ich sie den ganzen Sommer hindurch rauf- und runtergedüdelt hatte, war ich süchtig nach seinen Liedern. Wann immer sie ertönten, verfiel ich in Trance und schlug meinen Kopf sanft gegen die nächstbeste Wand.

In einem lichten Moment beschloss ich, herauszubekommen, was genau an Ibos Liedern süchtig macht; ich wollte mich auf Spurensuche begeben, die Wurzeln der von mir so geschätzten Tatlises-Lieder ausbuddeln, mithin die Ursprünge meiner Ohrwürmer ergründen und in ihren dunklen Gehörgängen lustwandeln. Heißt: ich buchte zum ersten Mal in meinem Leben eine Türkei-Tour.

Seinerzeit verfügte weder die junge Frau, die ich mit sanfter Gewalt überredet hatte, sich meinem Abenteuer anzuschließen, über große Reichtümer, noch war ich mit mehr als einigen Pfennigen gesegnet. Deshalb hatten wir uns gegen einen Flug und für die Fahrt mit einem Überlandbus entschieden. Um nicht nur die Anreise, sondern auch die Kosten in der Türkei niedrig zu halten – immerhin sollte unsere Tatlises-Expedition sieben Wochen dauern –, arbeiteten wir zudem einen Drei-Punkte-Aufenthaltsplan aus: Der sah erstens eine kostengünstige Ernährung vor. Aus diesem Grunde bepackten wir unsere Rucksäcke mit mehreren Säcken Müsli; die Beutel mit Trockenbananen (gegen Durchfall) und Backpflaumen (gegen Verstopfung) kamen ins Handgepäck. Zweitens waren wir wild entschlossen, möglichst häufig in der freien Natur zu übernachten. Und drittens wollten wir das Land des Tatlises trampend ergründen, mit dem Zusatzargument, dass uns das ja dem Volk näher bringen würde, das den großen Ibo anbetet. Wir waren genau jene Touristen, denen ein Einreiseverbot erteilt werden sollte. Überall. Weltweit. Der Türke an sich ist dazu jedoch viel zu freundlich, weshalb wir unsere Pläne in die Tat umsetzten – kurzzeitig zumindest.

Doch Gott muss sich 1987 einen Schnurrbart stehen lassen und sich auf die Seite der türkischen Tourismusbranche geschlagen haben: Eines Morgens jedenfalls – wir litten beide ohnehin schon seit längerem wegen Müsli-, Trockenbananen- und Backpflaumen-Abusus unter heftigen Verdauungsstörungen – erwachten wir an einem Strand mitten in einem Wespennest und überlebten wenige Stunden später auch noch beim Autostopp hintereinander zwei Unfälle. Ersterer war genau genommen gar kein echter, weil lediglich ein mittlerer Steinbrocken, der von einem Lkw aufgewirbelt worden war, die Windschutzscheibe unseres Wagens durchschlug. Die Glassplitter, die wir abends nicht aus unserer Kopfhaut lupfen konnten, wuchsen im Laufe der Jahre heraus. Der zweite Unfall war dafür ein richtiger – mit dreifachem Rittberger und Salto. Unser Fahrer war abgelenkt gewesen; er hatte auf mein Geheiß hin eine Ibo-Kassette gesucht. Mehr vom tödlichen Tatlises demnächst.

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