Österreichs Studis rücken nach links

Grün-Rot erobert Mehrheit im nationalen Studentenparlament. Protest gegen Uni-Gebühren und Absetzbewegung von der ÖVP-FPÖ-Regierung

aus Wien RALF LEONHARD

„Ein Armutszeugnis für das Demokratieverständnis an den österreichischen Hochschulen.“ So nennt Peter Westenthaler, der Fraktionsvorsitzende der national-liberalen FPÖ, das Ergebnis der Hochschulwahlen in Österreich. Es könne weder einen Linksruck noch einen Protest gegen Studiengebühren erkennen.

Mit dieser Meinung steht der erste Parlamentsmann des Rechtspopulisten und heimlichen ÖVP-Chefs Jörg Haider allein auf weiter Flur. Mit ihrem Votum von vergangener Woche haben Österreichs Studierende die bisher konservativ geprägte Hochschülerschaft grün-rot umgefärbt – in dieser Reihenfolge. Grüne und Alternative Studenten (Gras) überholten den Verband Sozialistischer Studenten (VSStÖ) um 0,43 Prozentpunkte und ein Mandat in der Bundesvertretung der Studierenden.

Die so genannte Aktionsgemeinschaft (AG) – eine der ÖVP von Kanzler Wolfgang Schüssel nahe stehende Hochschulgruppe – blieb zwar mit 15 von 45 Mandaten stärkste Fraktion, ist aber mit einem Verlust von 5 Mandaten die große Verliererin. Die Grünen von Gras (12 Mandate, bisher 6) und Uni-Sozialisten der VSStÖ (11 Mandate statt 7) werden den Vorsitz der Studentenvertretung übernehmen; sie hatten sich schon vor den Wahlen auf eine Koalition festgelegt. Der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) verlor 1 seiner 2 Mandate, die Kommunisten hielten ihre 2 Sitze. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer interpretierte daraus prompt eine „deutliche Absage an die Politik der schwarz-blauen Regierung“.

In der Tat war der Wahlkampf diesmal deutlich von bundespolitischen Themen dominiert. Niemand zweifelt, dass die Aktionsgemeinschaft trotz ihrer Bemühungen, nicht als Frontorganisation der ÖVP gesehen zu werden, die Rechnung für die unpopuläre Regierungspolitik präsentiert bekam. Die Aktionsgemeinschaft hatte Demos und Streikaufrufe gegen die Studiengebühren nicht unterstützt, sondern versuchte durch brave Eingaben bei Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) einen Sinneswandel herbeizuführen.

Aus für Orchideenfächer

Die für österreichische Verhältnisse geringe Wahlbeteiligung von 27,89 Prozent kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Studierenden von der Regierung hintergangen fühlen und den einst von den Sozialdemokraten ermöglichten freien Zugang zur höheren Bildung verteidigen wollen (siehe unten).

Auch die bevorstehende Uni-Reform und die zunehmende ökonomische Ausrichtung der Wissenschaft haben die Bildungspolitik der Wenderegierung nicht populärer gemacht. Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Spross einer Kärntner Unternehmerfamilie, der von Jörg Haider für die Politik entdeckt wurde, hat schon mehrmals laut darüber nachgedacht, ob „Orchideenstudien“ wie Orientalistik überhaupt angeboten werden sollten. Die Wirtschaft brauche keine Orientalisten.

Die im Budget schon fest verplanten Einnahmen aus den Studiengebühren wird sich der 32 Jahre junge Finanzminister von der neuen linken Mehrheit nicht nehmen lassen – außer der Coup der VSStÖ gelingt. Die hat sich ein Modell entworfen, das die Gebühren zu Fall bringen könnte – wenn genügend StudentInnen mitmachen. Die Beiträge sollen auf ein Treuhandkonto eingezahlt werden, das die Hochschülerschaft kommissarisch verwaltet. „Wenn mehr als 50.000 Studierende teilnehmen, wird das Geld nicht an den Staat überwiesen“, erklärte VSStÖ-Spitzenkandidatin Andrea Mautz. Wenn so viele nicht zahlen, wäre der reguläre Studienbetrieb infrage gestellt. Denn dann müsste die Regierung formell 50.000 Studis exmatrikulieren – ein Viertel der österreichischen Studierenden.

Das wäre eine Revolution an den Hochschulen von Wien bis Innsbruck. Hochschulpolitik ist anders als in vielen deutschen Unis keine Verlängerung von 1968, sondern bieder und serviceorientiert. Es geht um Ermäßigungen für die öffentlichen Verkehrsmittel, Skriptenvertrieb und Beratung. So ist auch die jahrelang ungebrochene Mehrheit der Aktionsgemeinschaft zu erklären, die von der Krise der Mutterpartei ÖVP während der 80er-Jahre nicht angesteckt wurde.