: Sado im Spiegel
Warum uns die Sixties immer noch voraus sind: Milton Moses Ginsbergs Film „Coming Apart“
von ANDREAS BUSCHE
Filme wie Milton Moses Ginsbergs „Coming Apart“ sind heute unmöglich geworden. Die Angst der Selbsterkenntnis sitzt zu tief in den Knochen, man ist sich der der eigenen Hölle zu gewahr, als dass man sich als Zuschauer noch auf eine Konfrontationen, wie sie Ginsberg hier forciert, einlassen möchte. In „Coming Apart“ wird man allein gelassen in dieser Hölle des Selbstzweifels und der Hysterie, die sich lange durch eine beängstigende Ruhe ausdrückt. Und man muss sie wie seine Hauptfigur bis zum bitteren Ende, stolze 126 Minuten lang, aussitzen, bis man schließlich gewaltsam aus ihr herausgerissen wird. Es ist dieselbe Qualität von Gewalt, mit der zuvor über zwei Stunden lang eine fast unerträgliche Langeweile und Leere aufs Sadistischste feierlich durchexerziert wurde.
Das Setting ist hoch allegorisch und schlichtweg genial: Da sitzt der Psychoanalytiker Joe Glatzer in einem fremden Apartment auf der Couch wie sein eigener Patient und lässt sich von seinen richtigen, ausschließlich weiblichen Patienten therapieren. Die Kamera hat Joe selbst montiert, platziert in einem ominösen Kasten außerhalb des Blickfeldes, den er ironisch „kinetisches Kunstobjekt“ nennt. Sie ist auf das bezeichnete Sofa gerichtet, hinter dem sich eine großflächige Spiegelwand befindet. Diese Position wird die Kamera den ganzen Film über nicht wechseln, sie beobachtet also oft lediglich die Spiegelbilder, nicht die menschlichen Originale.
In diesem Blick konstituiert sich die einzig wahrnehmbare Realität der Kameraautorität, ein taktisch kluger Versuchsaufbau für eine psychoanalytische Studie, in der die Rollenzuordnung von Therapierendem und Theapiertem genauso unscharf wird wie die Unterscheidbarkeit von Figur und Spiegelbild langsam unmöglich. Joe lässt eine Gespielin nach der anderen vorsprechen, wie auf der Besetzungscouch einer Schauspielschule (was letztlich natürlich gar nicht so falsch ist, hier arbeitet sich die Strasberg-Klasse an ihrer Method ab), und verzweifelt mehr und mehr an seiner eigenen Kaputtheit. Es gibt keinen Ausbruch aus diesem klaustrophobischen Szenario, dessen Begrenzung durch die technischen Vorgaben so scharf gezogen ist. Das einzige Anzeichens eines „Außen“ ist in dieser Enge das Panoramafenster im hinteren Teil des Apartments, aber auch das ist nur eine Reflexion im Spiegel.
Ginsberg hatte das große Glück, für „Coming Apart“ aus einem riesigen Fundus an Bildern und Sujets schöpfen zu können, die zur Zeit der Entstehung in der Filmkultur so präsent waren, wie es danach nie wieder der Fall war. Sein Film ist reine Kolportage, ein Kunstprodukt, das von einer künstlichen Welt erzählt, ganz so wie es Ende der 60er unter Studenten hip gewesen ist. Der Film beruft sich auf die Schlauheit der Warhol-Factory, imitiert den Blick Antonionis und versucht sich an der Präsizion Cassavettes.
„Coming Apart“ war ein einziger Kunstgriff, und vielleicht ging die amerikanische Presse 1969 auch deswegen nicht gerade zimperlich mit ihm um. Sie zerstörte den Film und Ginsbergs Karriere. Es brauchte dreißig Jahre, bis er wieder zur Aufführung kam. Was es für die aktuelle Filmkultur zu bedeuten hat, wenn Ginsberg meint, dass sein Film 1969 seiner Zeit 20 Jahre voraus war, heute dagegen 50 Jahre, kann man sich an fünf Fingern abzählen. Er hat nicht einmal Unrecht: „Coming Apart“ ist in jeder Hinsicht ein Produkt der 60er und zeigt gerade darum die selbst auferlegten Limitierungen des heutigen Kinos auf.
„Coming Apart“. Regie: Milton Moses Ginsberg, USA 1969, 111 Min. Blow-up, Immanuel-Kirch-Str. 14, Prenzlauer Berg
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