: Paranormalien
Dirty Harry in Weihwasser getaucht: Alison Macleans Film „Jesus’ Son“ deliriert zwischen sozialer Katastrophe und blauäugiger 70er-Utopie
von ANDREAS BUSCHE
Dieser Film erzählt von einer sozialen und physischen Katastrophe. Am Anfang scheint es noch das Martyrium der Liebe zu sein, das der Lebenskonzeption von FH so zusetzt. Als sich dieses vermeintliche Erlösungsmodell für ihn als fataler Selbstzerstörungsmechanismus entpuppt hat, wird daraus die Passionsgeschichte eines sozialen Mutanten. FH ist einer, der keinen Zugang findet zum „normalen“ Leben, weil seine Physik nicht geschaffen scheint für menschliche Interaktionen, weil die „Vibrations“ (wir befinden uns in den tiefsten 70ern) einfach nicht geeicht sind, weil irgendwas mit dem Stoffwechsel nicht stimmt, oder: „Die Katholen spritzten mir Weihwasser über die Brust und meinen Hals. Seitdem spüre ich nichts mehr.“
FH ist der „Firestarter“, ein Anti-Midas: Was er anfasst, wird zu Scheiße. Wer das Pech hat, seine Bekanntschaft zu machen, hat entweder das Jagdmesser bereits tief im Auge oder ist kurz darauf an einem goldenen Schuss verreckt. Das Bündel nackter Kaninchen, das ihm geschenkt wird, zerquetscht er mit seinen zwei linken Händen, die Überdosis seiner Freundin verpennt er im Drogenrausch; am nächsten Morgen ist sie tot. Ein bisschen wie bei Dirty Harry: „Haben Sie eigentlich schon mal jemanden kennen gelernt, den Sie nicht erschossen haben?“
FH scheint weniger ab- als viel mehr paranormal. Ein verstoßener X-man, der verzweifelt versucht, seine sonderbaren Kräfte zu lokalisieren und zu kontrollieren. Am Anfang von Alison Macleans Film „Jesus’ Son“ steht er im strömenden Regen auf der Landstraße und weiß genau, dass der Wagen, der ihn gleich mitnimmt, in einen Unfall verwickelt sein wird. Er steigt trotzdem ein. Wie jeder X-man muss schließlich auch FH seine Paranormalität wie ein Stigma im Namen tragen: FH steht für Fuckhead, und den Namen verdient er sich mit jedem Handgriff aufs Neue. Sein Leidensweg wird zur Erzählung einer grotesken Odyssee. Wie im Delirium rattern die einzelnen Episoden durch und fügen sich erst langsam zu einer tragisch-komischen Ganzheit; eine abstruse Liebesgeschichte, die wie aus einem Hunter-S.-Thompson-Turkeywahn herausgebrochen scheint und gleichzeitig mit der humanistischen Sentimentalität eines Larry Clark von einer familiären Drogen-Idylle erzählt. Eine blauäugige 70er-Utopie. Nach dem Verkehrsunfall zieht FH ein schreiendes Baby aus dem Wrack und trägt es unter seiner Jacke bis zur Wohnungstür von Michelle, die gerade eine Abtreibung hinter sich hat. Zeichen eines absoluten Liebesbeweises in diesem Szenario des sozialen und emotionalen Verfalls. Dieser gefallene Heroinengel findet seinen Gottesbeweis schließlich in einem Waschsalon, irgendwo zwischen zwei Bewusstseinszuständen.
FH hat wirklich was von der Hauptfigur aus Lou Reeds Song „Heroin“: immer in Bewegung, Bilder rasen wie in einem Wachtraum vorbei, der Rausch der Gefühle. Was bleibt, ist eine megalomane Leere mit einem sakral-bitteren Nachgeschmack ( „ . . . and I feel just like Jesus’ son“). Irgendwann trifft FH in einer Reha-Klinik einen Mann mit zwei Wundmalen im Gesicht – aber sie werden nie mehr bluten. Ihr Ende findet seine Odyssee im Beverly-Home-Pflegeheim, das ihm mit seinem Ensemble aus Altersschwachsinnigen, Missgebildeten und geistig Umnachteten wie ein utopisches Refugium vorkommen muss. „All diese Freaks und ich fühlten uns jeden Tag ein bisschen besser. Und das mitten unter denen. Ich hatte nie gewusst, dass es für Menschen wie uns einen Ort geben könnte.“ Kurz darauf ist auch der Vietnamkrieg vorbei.
„Jesus’ Son“. Regie: Alison Maclean. Mit: Billy Crudup, Samantha Morton u. a. USA 1999, 110 Min.
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