piwik no script img

„Man baut wieder mehr Scheiße“

Vom Bürgermeister mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet, aber noch immer obdachlos: Luruper Jugendliche warten seit neun Monaten auf neue Räume  ■ Von Heike Dierbach

„Ein paar“ Jugendliche wollten kommen. Über 20 sind jetzt hier; Jüngere, Ältere, Jungen, Mädchen drängen sich um die Reporterin, um ihr Anliegen loszuwerden. Das liegt auf der Hand – durch den Ort, an dem das Interview stattfindet: die Straße. Seit im vorigen August der offene Jugendtreff der Kirchengemeinde „Zu den zwölf Aposteln“ am Luruper Lüttkamp abgebrannt ist (taz berichtete), haben die Jugendlichen keinen Raum mehr, wo sie sich treffen können.

„Man merkt selber, dass man wieder mehr Scheiße baut“, resümiert Morti, 18, das vergangene Dreivierteljahr. Der Treff, der von dem Sozialpädagogen Gerhard Rumrich und einer Honorarkraft bestritten wird, war für ihn und seine Freunde ein zweites Zuhause – in einem Viertel, in dem viele Kinder kein echtes erstes Zuhause haben: Weil die Eltern arbeitslos sind, von der Sozialhilfe leben oder als Alleinerziehende in beengten Wohnverhältnissen überfordert sind.

Dass das Quartier am Lüttkamp Hilfe braucht, bestätigte erst vorigen Donnerstag die Senatskommission für Stadtentwicklung, als sie ein entsprechendes Entwicklungskonzept beschloss.

Rumrich arbeitet seit 14 Jahren hier mit den überwiegend ausländischen Kindern und Jugendlichen. „Ohne ihn hätte ich damals keine Lehre gemacht“, sagt Anthony (26), Tischler, und legt Rumrich den Arm um die Schulter. Mehdi (20) ergänzt: „Ich wäre wahrscheinlich schon im Knast gelandet.“ Bis zu 60 Jugendliche kamen täglich in den Treff, der zum kleineren Teil von der Kirche und zum größeren von der Stadt finanziert wird.

Nach dem Brand suchte Rumrich Ersatzräume. Die SAGA bot ihm einen Laden in einem Neubau an. Der aber war dem Jugendhilfeausschuss mit über 120 Quadratmeter zu groß. Immerhin gibt es in dem Gebiet „eine hohe Dichte an Einrichtungen“, sagt der für Lurup zuständige Regionalleiter beim Jugendamt Altona, Heiner Wiese. Direkt gegenüber vom ehemaligen Jugendtreff betreibt der Verein Ring Zwei ein Haus der Jugend.

Aber für Morti, Mehdi und die anderen ist das keine Frage der Quantität – für sie geht es darum, zu wem sie Vertrauen fassen. „Gerhard ist auch abends und sonntags für uns da“, sagt Monika (17) „er ist einfach Papa, Opa, großer Bruder.“

Das akzeptiert sogar Rumrichs „Konkurrent“ vom Ring Zwei, Thomas Melljes, der seit einem Jahr in Lurup arbeitet: „Jugendarbeit ist nunmal Beziehungsarbeit. Und die dauert Jahre.“ Solange halten es viele Pädagogen gar nicht in dem Viertel aus. Melljes sieht beide Einrichtungen nicht als Konkurrenten, eher als gegenseitige Ent-lastung: „Wenn wir demnächst wegen Urlaub vier Wochen schließen müssen, können wir die Kinder an Rumrich verweisen.“

Aber nur, wenn der dann wieder Räume hat. Nach Angaben des Jugendamtes sind nun immerhin welche in Aussicht, in einem Reihenhaus der SAGA. Aber auch das ist nur eine Übergangslösung – das Haus soll im kommenden Jahr saniert werden. Und dann? Die Vertreter von CDU und GAL im Jugendhilfeausschuss der Bezirksversammlung wollen das Projekt an diesem Standort halten – „schon geringe Verlagerungen machen die Jugendlichen nicht mit“, weiß Marcus Weinberg von der CDU. Die GAL-Fraktionsvorsitzende Gesche Boehlich: „Wenn jemand sich über Jahre so engagiert, ist das bewundernswert.“ Die SPD ist noch unentschieden.

Rumrich und seine Jugendlichen machen unterdessen auf der Straße weiter. Derzeit planen sie eine Reise in den Herbstferien nach Wien, wo sie seit 1995 Gräber auf dem jüdischen Friedhof pflegen. Dafür wurden sie im Januar von Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet.

Aber die Finanzierung der nächs-ten Reise – oder neuer fester Räume – die ist noch nicht gesichert.

Spendenkonto: Kirchengemeinde Zu den Zwölf Aposteln, Kto. 310 900 93, Ev. Darlehensgenossenschaft Kiel, BLZ 210 602 37, Stichwort „Wienreise“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen