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1. Mai: Frisierte Festnahmebilanz

Für Innensenator Werthebach waren die zahlreichen Festnahmen der Polizei am 1. Mai ein Erfolg. Der hat allerdings einen Schönheitsfehler: Mindestens 180 der insgesamt 661 Fälle von Freiheitsentziehung waren vermutlich rechtswidrig

von PLUTONIA PLARRE

Innensenator Eckart Werthebach (CDU) versucht, sich mit hohen Festnahmezahlen als erfolgreicher Law-and-Order-Mann im Kampf gegen die 1.-Mai-Krawalle zu schmücken. Das Ganze hat jedoch einen Schönheitsfehler: Von insgesamt 616 Freiheitsentziehungen am 1. Mai waren vermutlich mindestens 180 rechtswidrig. Hinzu kommt eine noch nicht bekannte Zahl von Festnahmen, für die es keine nachvollziehbaren Unterlagen zu geben scheint. Entsprechende Polizeiprotokolle, die diese Annahme belegen, liegen der taz vor.

Aus den Papieren geht hervor, dass die Polizei rund 180 Personen festgenommen hat, ohne einen konkreten Nachweis über eine wie immer geartete Tatbeteiligung erbringen zu können.

Auf Antrag von PDS und Bündnisgrünen wird das Thema am kommenden Montag den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses beschäftigen. „Der Sachverhalt ist unter dem Aspekt der Freiheitsberaubung im Amt zu prüfen“, sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland.

Für den grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele ist denn auch klar, dass der Innensenator die Verantwortung für die Affäre trägt. Nach dem von Werthebach verhängten Demonstrationsverbot habe die Polizei unter einem „extremen Druck“ gestanden, am 1. Mai „Erfolge vorzuweisen“.

Bereits in der vergangenen Woche hatten Tagesspiegel und taz über den Verdacht rechtswidriger Festnahmen am 1. Mai berichtet. In Kreuzberg waren gegen 20 Uhr zwischen 200 und 400 Personen an der nördlichen Seite des Mariannenplatzes eingekesselt worden. Betroffen war laut Augenzeugen eine bunte Mischung: übrig gebliebene Festbesucher, Schaulustige, Alkoholleichen. Auch Rentner und Demonstrationsbeobachter waren darunter. Das Gros der Straßenkämpfer dagegen hatte längst das Weite gesucht. Eine vorherige Aufforderung der Polizei an die Schaulustigen, den Platz zu verlassen, sei nicht ergangen, weiß Wolfgang Wieland. Andere Zeugen bestätigen dies.

Die am Mariannenplatz eingesetzten Polizisten wussten offenbar selbst nicht, was sie den Eingekesselten vorwerfen sollten. Und weil sie das nicht wussten, ließen sie zunächst das Feld in den Festnahmeformularen frei, in das eigentlich an Ort und Stelle der Grund für den Freiheitsentzug eingetragen werden muss. Anhand der Eintragung wird später auf der Gefangenensammelstelle entschieden, ob der Festgenommene einer Straftat verdächtigt wird und einem Richter vorgeführt werden muss oder ob er lediglich als potenzieller Störer gilt, der nach dem Polizeigesetz zum Zwecke der Gefahrenabwehr bis zur Beruhigung der Lage in Polizeigewahrsam verbleiben soll.

Am 1. Mai geschah jedoch etwas Ungewöhnliches: Die Beamten, die gegen 22 Uhr mit den Festgenommenen in der Gefangensammelstelle Tempelhof angekommen waren, bekamen von dem Leiter der für Kreuzberg und Neukölln zuständigen Direktion 5, Klaus Karau, die Weisung, in dem Formular einen sehr eigenwilligen Festnahmegrund nachzutragen: „gemäß Weisung Leiter Direktion 5“. Eine solche „Lex Karau“ ist allerdings weder durch die Strafprozessordnung noch durch das Polizeigesetz gedeckt.

Nachdem zahlreiche Untergebene Bedenken gegen das Vorgehen geäußert hatten, zum Teil sogar in schriftlicher Form, veranlasste Karau gegen Mitternacht schließlich, dass an die Festnahmeformulare eine umfangreiche Zusatzbegründung angeheftet wurde. Darin wurde den Festgenommenen nunmehr pauschal unterstellt, zu dem gewaltbereiten Personenkreis auf dem Mariannenplatz gehört zu haben, weil sie sich zwei Stunden nach dem Ende des Straßenfests immer noch auf diesem aufgehalten hätten. „Ein weiterer Einzelnachweis über einzelne Tatbeteiligungen ist der Polizei in der konkreten Einsatzlage nicht zuzumuten, weil unmöglich“, heißt es wörtlich in der Zusatzbegründung, die der taz vorliegt. Schließlich sei es Aufgabe der Polizei, gewalttätige Ausschreitungen von „Störermengen schnell und sicher zu unterbinden“. Es sei „nicht zu leisten“, wenn dann noch Anforderungen an „die Rechtmäßigkeit der erforderlichen Maßnahmen“ gestellt würden. Das sei ein „unauflösbarer Widerspruch“.

Die Polizei hat damit eingeräumt, dass sie sich am 1. Mai nicht imstande sah, gesetzmäßig zu handeln. Rechtsanwalt Ströbele: „Es muss immer einen personenbezogenen Grund für eine Festnahme geben.“ Die Festgenommenen mussten am 1. Mai dennoch stundenlang in der Gefangenensammelstelle ausharren. „Irgendwann wurde uns mitgeteilt, dass wir vor einen Richter gebracht würden“, erinnert sich ein Betroffener. „Auf Höhe des U-Bahnhofs Yorckstraße wurden wir dann plötzlich gegen 4 Uhr auf die Straße entlassen. Es gab keine weiteren Erklärungen. Es wurde nur gesagt, wir können gehen.“ Die Letzten kamen erst um 7 Uhr morgens frei.

Die Polizeipressestelle wollte sich gestern mit Verweis auf die Innenausschusssitzung am Montag nicht zu dem Vorgang äußern.

Ein Klage beim Verwaltungsgericht wegen der Rechtswidrigkeit der Festnahme ist nur noch bis zum 2. Juni möglich.

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